Evolution

Ursache für Blütenevolution entdeckt

Gen und Transkriptionsfaktor bestimmen Aussehen von Physalis-Blüten

Physalis alkekengi © MPI für Züchtungsforschung

Bei Nachtschattengewächsen sind immer wieder evolutionäre Neuheiten zu beobachten. Max-Planck-Forscher haben nun untersucht, wie es zu einer neuen Blüten-„Architektur“ bei Physalis, der so genannten chinesischen Laterne, kommt. In ihrer Studie konnten die Wissenschaftler zeigen, dass ein bestimmtes Gen und die Funktionsweise des zugehörigen Transkriptionsfaktors in den Blüten von Physalis der Grund für ihre ungewöhnliche Form der Blütenhülle ist. Mit ihren Untersuchungen haben die Max-Planck-Forscher die Entstehung morphologischer Neuheiten im Pflanzenreich – ein uraltes Phänomen der Evolutionsbiologie – beispielhaft untersucht.

Fast jährlich findet man auf Blumenmärkten neue Farb- und Formvarianten der verschiedensten Pflanzenfamilien. Viele dieser Züchtungen erfreuen sich allgemeiner Beliebtheit und finden reißenden Absatz. Das uralte Phänomen der Evolutionsbiologie, die Entstehung morphologischer Neuheiten, rückt in den letzten Jahren nun auch zunehmend ins Zentrum der Forschungsaktivitäten von Molekularbiologen.

Die Kölner Forscher Chaoying He und Heinz Saedler vom Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung haben jetzt die Evolution einer neuen Blüten-Architektur bei Physalis, der so genannten chinesischen Laterne aus der Familie der Nachtschattengewächse – Solanaceen – untersucht und sind der Entstehung ihrer ungewöhnlichen Hüllstruktur nachgegangen. Zu den Solanaceen gehören unter anderem Tomaten, Kartoffeln, Paprika, Auberginen und Physalis

„Nachtschattengewächse sind reich an evolutionären Neuheiten, Physalis ist ein sehr anschauliches Beispiel dafür“, erklärt Heinz Saedler. Eine ballonartige Hülle gibt nach der Reifung eine orangefarbene Beere frei. Liebhaber von kalten Buffets schätzen sie als Verzierung auf dem Essen.

Vier Kreise von Organen

Physalis besitzt Blüten mit vier Kreisen von Organen. Alle Organe werden in der Blütenknospe zunächst fest von den Kelchblättern umhüllt, die sich später jedoch öffnen und die Kronblätter, die der Anlockung von Befruchtern wie Insekten und Vögeln dienen, freigeben. Die männlichen Staubblätter und die weiblichen Fruchtblätter folgen in den inneren Organkreisen. Neuheiten können in allen Organkreisen entstehen. Besonders leicht zu erkennen sind architektonische Veränderungen jedoch sowohl bei den Kron- als auch bei den Kelchblättern.

„Morphologische Neuheiten entstehen durch Veränderungen in Entwicklungsprozessen“, sagt Saedler in der Fachzeitschrift PNAS. Für die Entstehung der Laterne von Physalis bedeutet dies, dass die Kelchblätter nach der Befruchtung wieder zu wachsen beginnen und letztendlich die reife Frucht einhüllen. Die Molekularbiologen nennen dieses Merkmal auch Inflated-Calyx-Syndrome (ICS).

Um den Ursachen des Inflated-Calyx-Syndrome auf den Grund zu gehen, verglichen die Molekularbiologen Physalis mit der Kartoffel. Beide stammen aus der Familie der Solanaceen, sind also nahe miteinander verwandt. Die Unterschiede in der Blüten- und Fruchtbildung sind nur wenig, aber charakteristisch verschieden ausgeprägt.

Die Wissenschaftler vermuteten aufgrund früherer Studien, dass ein MADS-box-Transkriptionsfaktor bei der Entstehung des ICS bei Physalis beteiligt sein muss. In Pflanzen gibt es allein mehr als einhundert MADS-box-Faktoren, die – meist in Kombination – die Expression bestimmter Gene steuern. So ist etwa eine bestimmte Kombination von MADS-box-Proteinen beispielsweise für die Identität eines Organs in Physalis verantwortlich. Dies haben die Kölner Forscher bereits vor ein paar Jahren in einem Modell veranschaulicht.

Gene gezielt ausgeschaltet

Ein Vergleich der Ausprägung der Gene MPF2 bei Physalis und dem entsprechenden Gen STMADS16 in der Kartoffel, die beide einen MADS-box-Transkriptionsfaktor kodieren, führte die Kölner Forscher schließlich auf die richtige Spur. In der Kartoffel wird STMADS16 nur im vegetativen Gewebe ausgeprägt. Im Gegensatz hierzu wird die Expression von MPF2 in Physalis, auch in Blütengeweben beobachtet.

Durch einen gentechnologischen Eingriff, der so genannten RNAi-Methode, bei der man Gene gezielt ausschaltet, konnte die Funktion von MPF2 in Physalis stark reduziert werden. Dies hatte drastische Konsequenzen: Die transgenen Pflanzen hatten kleinere Blätter, bildeten keine Laternen (ICS) mehr aus und waren männlich steril. Daraus schlossen die Molekularbiologen, dass MPF2 offensichtlich sowohl für die Ausbildung normaler Blätter wie auch von ICS benötigt wird. Ferner scheint MPF2 auch ein Bestandteil des männlichen Fertilitätsprogramms zu sein.

Ursache für die ungewöhnliche Ausprägung von MPF2 ermittelt

Anschließend gingen die Wissenschaftler der Ursache für die ungewöhnliche Ausprägung von MPF2 in den Organen von Physalis auf den Grund. Erbgut-Sequenzanalysen der Promotoren, also der Schaltstellen von Genen, von STMADS16 und MPF2 zeigten, dass die beiden Kontrollsegmente völlig unterschiedlich sind. Dies macht die unterschiedliche Expression der beiden Gene in Kartoffeln und Physalis verständlich. MPF2 stimuliert die Zellteilung in Blättern und in Kelchblättern bei gleichzeitiger Reduzierung der Zellgröße. Dies konnte überzeugend in transgenen Kartoffel-Pflanzen, in denen MPF2 auch in Blütenorganen ausgeprägt wurde, bestätigt werden. Ihre stark vergrößerten Kelchblätter wiesen viele kleine Zellen auf.

Damit konnten die Kölner Forscher nachweisen, dass die Nutzung eines existierenden Transkriptionsfaktors und seine Integration in einen anderen Kontext die Evolution von ICS in Physalis beinflusst. Dies stellt möglicherweise ein Prinzip der Evolution morphologischer Neuheiten im Pflanzenreich dar.

(idw – MPG, 14.04.2005 – DLO)

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