Schreiben und Lesen sind nach wie vor die wichtigsten Kulturtechniken, die Kinder erlernen müssen. Doch für viele bleibt die Welt der Buchstaben trotz aller Bemühungen ein Labyrinth, in dem alles durcheinander geht. Jetzt wollen Forscher den neurologischen Ursachen der Lese-Rechtschreib-Störung (LRS) auf den Grund gehen.
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Schätzungen zu Folge haben rund fünf Prozent der Kinder eines Jahrgangs mit einer Lese-Rechtschreib-Störung (LRS) zu kämpfen. Dass die LRS eine starke genetische Komponente aufweist, ist inzwischen Konsens. Doch wie genau die Störung des Schriftspracherwerbs entsteht und welche Ursachen der LRS zugrunde liegen, ist für die Wissenschaft nach wie vor offen.
Drei Ursachenmodelle im Vergleich
Eine Studie am Universitätsklinikum Jena (UKJ) vergleicht jetzt erstmals drei der derzeit aussagekräftigsten Ursachenmodelle auf neurobiologischer Basis. „Die als Lese-Rechtschreibstörung bezeichneten Probleme beim Schreiben und Lesen äußern sich unter anderem im Auslassen, Hinzufügen oder Vertauschen ähnlich klingender Buchstaben, verlangsamtem Lese- und Schreibtempo und dem Ersetzten oder Vertauschen von Wörtern. Diese Schwierigkeiten sind dadurch bedingt, dass bei den betroffenen Kindern bereits die diesen Fertigkeiten zugrunde liegenden Funktionen gestört sind“, erklärt Dr. Carolin Ligges, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Jena.
„Das heißt, grundlegende Verarbeitungsprozesse, die an der Differenzierung und Verarbeitung von Sprachklängen – phonologische Bewusstheit – beteiligt sind, erfolgen eingeschränkt oder fehlerhaft. Aber einige Studien berichten auch immer wieder, dass die neuronale Verarbeitung optischer oder akustischer Reize gestört ist und es somit in der Konsequenz zu den Lese- und Rechtschreibproblemen kommen soll.“
Entsprechend sehen verschiedene Erklärungsmodelle die Entstehung der LRS in Störungen unterschiedlicher Fähigkeiten begründet, entweder bei der Verarbeitung von Sprachklängen oder aber in den grundlegenden Reizverarbeitungsfähigkeiten: So geht der derzeit bevorzugte Ansatz von einer Störung der phonologischen Bewusstheit aus, was sich unter anderem darin äußert, dass die Zuordnung von Sprachlauten zu ihren jeweiligen Buchstaben nur mühsam oder teilweise gar nicht erlernt werden kann. Zwei andere Modelle sehen die Ursache jeweils in der fehlerhaften Aufnahme von Hör- oder Sehreizen, also auf der auditiven und der visuellen Ebene.
Gehirnaktivitäten im Visier
Die Jenaer Forscherinnen Carolin Ligges und Mireille Trautmann wollen jetzt in einer Studie diese drei Modelle – phonologisch, auditiv und visuell – hinsichtlich ihrer Plausibilität mit den Mitteln der Neurobiologie vergleichen. „Dazu werden wir untersuchen, welche Gehirnaktivitäten sich in bestimmten Situationen bei Kindern mit und ohne Lese-Rechtschreib-Störung beobachten lassen“, so Trautmann. Den verschiedenen kognitiven Verarbeitungsprozessen, auf die sich die drei Ursachenmodellen beziehen lassen sich jeweils bestimmten Gehirnregionen zuordnen.
„Mit Hilfe der funktionalen Magnet-Resonanz- Tomographie und des EEG lässt sich nachweisen, welche dieser Hirnregionen bei der Lösung von Sprach-, Ton- und Musteraufgaben bei Kindern mit LRS anders aktiviert werden als bei Kindern ohne LRS“, erklärt Carolin Ligges weiter. „Anhand dieser Verarbeitungsdefizite können wir Rückschlüsse ziehen, in welchem Bereich die Ursachen für eine Störung liegen und damit wertvolle Hinweise für die Weiterentwicklung von Therapieverfahren beisteuern.“
Für die Studie werden die beiden Wissenschaftlerinnen 50 Kinder im Alter von 11 bis 12 Jahren mit LRS und 50 mit einer normalen Lese- Schreib-Fähigkeit untersuchen. Mireille Trautmann: „Gerade für die Eltern ist es wichtig, dass zu Beginn eine ausführliche Testdiagnostik durchgeführt wird, um abzuklären, ob ihr Kind tatsächlich eine LRS hat.“ Für die sich anschließenden drei Untersuchungen erhalten die Studienteilnehmer eine Aufwandsentschädigung.
(Universität Jena, 25.10.2005 – NPO)