Genetik

Urzeit-Moleküle „wiedererweckt“

Rekonstruktion von 90.000 Jahren alter Bakterien-DNA liefert unbekannte Urzeit-Wirkstoffe

fossiler Zahn
Im Zahnstein dieses steinzeitlichen Menschenzahns sind Fragmente von Bakterien-DNA enthalten. Aus ihnen haben Forschende die Bauanleitung für eine zuvor unbekannte Klasse von Naturstoffen rekonstruiert. © Werner Siemens Stiftung/ Felix Wey

Chemische Zeitreise: Vor mehr als 90.000 Jahren produzierten Bakterien eine heute unbekannte Klasse von Biomolekülen, wie urzeitliche DNA-Reste belegen. Jetzt ist es Forschenden gelungen, die genetische Bauanleitung dieser „Paläofurane“ zu rekonstruieren und die Urzeit-Moleküle von modernen Bakterien nachbauen zu lassen, wie sie in „Science“ berichten. Dieses „Wiedererwecken“ prähistorischer Enzyme und anderer Biomoleküle eröffnet die Chance, neue Wirkstoffe zu entdecken, aber gibt auch Einblick in die chemische Evolution.

Im Laufe der Erdgeschichte hat die Natur nicht nur unzählige verschiedene Lebensformen hervorgebracht – auch die von den lebenden Zellen produzierten Enzyme und Stoffwechselprodukte haben sich verändert und vervielfacht. Während diese prähistorischen Biomoleküle meist nicht mehr nachweisbar sind, bleiben ihre Bauanleitungen in Form von DNA manchmal erhalten: Einige kann man über Genomvergleiche heute lebender Organismen rekonstruieren, andere sind in fossilen DNA-Fragmenten erhalten.

Bioinformatik
Die Rekonstruktion stark degradierter DNA-Reste von Urzeit-Mikroben ist eine bioinformatische Herausforderung. © Anna Schroll/ Leibniz-HKI

„Wenn man die in solchen biosynthetischen Genclustern kodierten und von urzeitlichen Mikroorganismen produzierten Naturprodukte entschlüsselt, dann kann dies Einblick in vergangene mikrobielle Lebensweisen geben und enthüllt die zuvor verborgene chemische, strukturelle und funktionelle Vielfalt“, erklären Martin Klapper vom Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie in Jena und seine Kollegen.

DNA-Fahndung in fossilem Zahnstein

Eine solche Rekonstruktion ist allerdings schwierig, weil die genetischen Bauanleitungen dieser Urzeit-Moleküle oft stark degradiert und in viele winzige Stücke zerfallen sind. Doch Klapper und seinem Team ist es nun gelungen, urzeitliche Gene aus bis zu 90.000 Jahre alten Fragmenten zu rekonstruieren – und die in diesen Genen kodierten Moleküle herzustellen. Das Material dafür lieferte der 40.000 bis 100.000 Jahre alte Zahnstein von Neandertalern sowie von bis zu 40.000 Jahre alten anatomisch modernen Menschen.

In diesem fossilen Zahnstein sind die mineralisierten Überreste unzähliger Bakterien konserviert. Mithilfe spezieller Extraktionsmethoden und einer bioinformatischen Analyse gelang es Klapper und seinem Team, aus diesen Relikten die Genome zahlreicher urzeitlicher Bakterienarten zu rekonstruieren. „Die große bioinformatische Herausforderung lag darin, Fehler in der degradierten DNA zu beheben und Verunreinigungen zum Beispiel durch jüngere DNA auszuschließen“, erklärt Klappers Kollegin Anan Ibrahim.

Alte DNA in neuen Bakterien liefert urzeitlichen Naturstoff

Unter den rekonstruierten Bakteriengenomen entdeckte das Forschungsteam eine neue Spezies der Gattung Chlorobium. Deren Erbgut enthielt den Bauplan für ein zuvor noch nie dokumentiertes Enzym mit noch unbekannter Funktion. „Nachdem wir diese rätselhaften alten Gene entdeckt hatten, wollten wir herauszufinden, was sie bewirken“, sagt Ibrahim. Dafür bauten die Wissenschaftler die Gene aus DNA-Bausteinen nach und schleusten sie in das Erbgut von modernen Bakterien der Art Pseudomonas protegens ein.

Das Ergebnis: Die mit den urzeitlichen Genen ausgestatteten Mikroben begannen nun, die in den alten DNA-Stücken kodierten Moleküle zu produzieren. Diese erwiesen sich als Enzyme, die eine zuvor unbekannte Klasse bakterieller Stoffwechselprodukte herstellten. „Es ist uns erstmals gelungen, Substanzen neu herzustellen, die vor hunderttausend Jahren von Bakterien produziert wurden – die Paläofurane“, sagt Klappers Kollege Pierre Stallforth.

Die Wissenschaftler sind damit die ersten, die Reste urzeitlicher Bakterien-DNA zusammengesetzt, abgelesen und die darin kodierten Moleküle synthetisiert haben. „Das ist der erste Schritt, um die verborgene chemische Vielfalt der Mikroben der Erdgeschichte zu erschließen“, sagt Klapper. „Wir können jetzt beginnen, Milliarden unbekannter alter DNA-Fragmente systematisch in lange verschollene bakterielle Genome aus der Steinzeit einzuordnen.“ (Science, 2023; doi: 10.1126/science.adf5300)

Quelle: Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie

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