Ganz der Vater? Die Verwandtschaft lässt sich oft am Gesicht ablesen – aber woran genau? Das haben Forscher nun im Experiment untersucht. Dabei zeigte sich: Die entscheidenden Merkmale verstecken sich in den Details der oberen Gesichtshälfte. An ihr erkannten die Probanden sogar dann die Verwandtschaft, wenn Augen, Nase und Mund fehlten, wie die Forscher im Fachmagazin „Biology Letters“ berichten.
Die Fähigkeit, den eigenen Nachwuchs zu erkennen, war schon bei unseren tierischen Vorfahren entscheidend. Denn sie stellt sicher, dass die Eltern ihre Zeit und Energie nicht an die Aufzucht fremder Junge und damit fremder Gene vergeuden. Zum anderen schützt das Erkennen von engen Verwandten vor ungewollter Inzucht. Bei Tieren spielt dabei vor allem Geruch eine wichtige Rolle als Indikator. Bei uns Menschen ist es daher eher das Aussehen.
Ins Gesicht geschrieben
„Die Ähnlichkeit der Gesichtszüge scheint der relevanteste Reiz für das Einschätzen der Verwandtschaftsverhältnisse zu sein“, erklären Alexandra Alvergne von der University of Oxford und ihre Kollegen. Dies geht sogar so weit, dass menschliche Väter sich unbewusst stärker um den Nachwuchs kümmern, der ihnen ähnlich sieht, wie Studien belegen.
Allerdings: Woran sich genau die Ähnlichkeiten festmachen, war bisher nur in Teilen bekannt. Zudem werden einige Merkmale des Gesichts stark durch Umwelteinflüsse im Mutterleib und in der frühen Kindheit geprägt. Vor allem die Kinnpartie, der Mund und auch die Größenverhältnisse anderer Gesichtsmerkmale können daher die genetische Zugehörigkeit verschleiern. Wo sich die entscheidenden Anzeiger für das väterliche Erbe im Gesicht verstecken, haben Alvergne und ihre Kollegen nun in einem Experiment untersucht.
Quiz mit Vater-Sohn-Portraits
Dafür sammelten die Forscher Portraits von 27 Vater-Sohn-Paaren aus den Archiven der US-Militärakademie West Point. Die Bilder stellten beide jeweils als junge Erwachsene zwischen 21 und 26 Jahren dar. Für den Test zeigten sie ihren Versuchspersonen jeweils das Bild eines Sohnes mit drei weiteren Portraits – eines zeigte den Vater, die anderen beiden ihm oberflächlich ähnliche Männer im gleichen Alter.
Aufgabe der 271 Probanden war es nun, den Vater korrekt zuzuordnen. Erschwert wurde dies dadurch, dass in einigen Durchgängen die obere oder untere Hälfte der Gesichter verdeckt war, in anderen wurde der gesamte Innenbereich des Gesichts inklusive Augen, Nase und Munde entfernt. Für einen weiteren Test wurden die Portraits in Streifen geschnitten und in verkehrter Reihenfolge zusammengesetzt.
Haaransatz und obere Hälfte entscheidend
Das Ergebnis: Die Versuchspersonen konnten bei den unmanipulierten Gesichtern 67 Prozent der Väter korrekt identifizieren – also immerhin zwei Drittel. Interessanterweise war dies auch der Fall, wenn sie jeweils nur die obere Gesichtshälfte der Väter sahen, wie die Forscher berichten. Wurde dagegen nur die untere Hälfte gezeigt, versagte der Spürsinn der Probanden: Ihre Trefferquote unterschied sich nicht mehr von bloßen Zufallstreffern.
„Das stützt die Annahme, dass der der untere Teil des Gesichts weniger Verwandtschafts-Signale enthält, weil sich dieser während der Kindesentwicklung am stärksten verändert“, erklären Alvergne und ihre Kollegen. Überraschenderweise schafften es die Teilnehmer sogar dann noch, den richtigen Vater zu erkennen, wenn die Gesichtszüge komplett fehlten. „Das deutet darauf hin, dass die Gesichtsform, die Ohren und der Haaransatz als Vaterschaftssignale bei Söhnen dienen“, so die Forscher.
Wie sich der Haaransatz im Laufe des Lebens verändert – ob schon früh Geheimratsecken auftreten oder die Stirn höher wird – sei stark genetisch bedingt und daher vorhersehbar. Da die Väter und Söhne auf den Portraits jeweils im gleichen Alter gezeigt wurden, könnten die Probanden die Verwandtschaft an Ähnlichkeiten bei diesem Merkmal erkannt haben.
Andere Indikatoren als bei der Gesichtserkennung
Die subtilen Signale der Vaterschaft erkennen wir damit offenbar auf andere Weise als allgemein bekannte Gesichter. Denn die Verwandtschaft machen wir an einzelnen Merkmalen und ihrer Ausprägung fest – dem Haaransatz, den Ohren oder den Augen. Wenn es dagegen darum geht, das Gesicht eines uns Bekannten wiederzuerkennen, registrieren wir eher das Zusammenspiel dieser einzelnen Merkmale, die Gesamtheit der Gesichtszüge.
Nach Ansicht der Forscher könnte dies auch erklären, warum wir eine Verwandtschaft bei anderen selbst dann noch gut erkennen, wenn diese asiatischer oder afrikanischer Abstammung sind: Wir vergleichen die Details und lassen uns von ungewohnten Gesichtszügen nicht täuschen. (Biology Letters, 2014; doi: 10.1098/rsbl.2014.0063)
(Royal Society, 23.04.2014 – NPO)