Das Ergebnis: „Wir fanden DNA-Barcodes von 46 Insektenarten aus neun Ordnungen, die meisten davon Käfer und Nachtfalter“, berichtet Scholz. „Die Insektenarten ließen sich einer Vielzahl unterschiedlicher Lebensräume, von Ackerflächen über Grünland bis zu Wäldern und Feuchtgebieten, zuordnen.“ Dies bestätigt, dass Fledermäuse eine wichtige Rolle bei der natürlichen Regulierung von Insektenbeständen haben.
Reichlich Schadinsekten auf dem Speiseplan
Interessant auch: 20 Prozent der von den Fledermäusen vertilgten Insekten gelten in der Land- und Forstwirtschaft als Schädlinge, weil sie Nutzpflanzen oder Bäume anfressen, Früchte schädigen oder Pflanzenkrankheiten übertragen können. Besonders häufig auf dem Fledermaus-Speiseplan vertreten waren den DNA-Analysen unter anderem der Waldbock (Spondylis buprestoides), der Esskastanienbohrer (Curculio elephas) und der Eichenwickler (Cydia splendana).
„Insgesamt haben wir Schadinsekten in zwölf der 17 untersuchten Mägen der Großen Abendsegler gefunden“, berichten Scholz und Voigt. „Eine ergänzende Literatur-Auswertung bestätigte, dass Fledermäuse eine wichtige Rolle in der Kontrolle von Schadinsekten spielen und sogar lokale Ausbrüche unterdrücken können.“ Wenn die Zahl der Fledermäuse in einem Gebiet zurückgeht, nimmt auch diese Ökodienstleistung ab.
Störung der lokalen Nahrungsnetze
Nach Ansicht der beiden Forschenden könnte dies bedeuten, dass der Tod von Fledermäusen an Windanlagen das Gleichgewicht der lokalen Nahrungsketten nachhaltig stört und dass sich dadurch im Extremfall bestimmte Insektenarten überproportional stark vermehren. Für die Landwirtschaft und Wälder der Umgebung könnte das negative Folgen haben.
Aus Feldversuchen auf Maisfeldern in Nordamerika sei zudem bekannt, dass die ökologische Rolle der Fledermäuse im Nahrungsnetz nicht ohne weiteres von anderen Prädatoren wie Vögeln kompensiert werde. Fallen die Fledermäuse weg, fehlt es daher im Nahrungsnetz an diesen Insektenfressern. „Daher ist es wahrscheinlich, dass der Verlust von Fledermäusen durch Kollisionen mit Windturbinen die Nahrungsnetze in Feldern nachhaltig verändert“, schreiben Scholz und Voigt.
Noch weiterer Forschungsbedarf
Allerdings: Bisher gibt es dafür keine direkten Belege. Die Studie hat bisher nur den Speiseplan der getöteten Fledermäuse offengelegt, nicht aber die Folgen für das Nahrungsnetz direkt untersucht. Zudem waren alle untersuchten Abendsegler im Spätsommer und Herbst gestorben, die größten Vermehrungen von Schadinsekten finden jedoch im Frühjahr statt. Ob und wie sich der Fledermausverlust auch dann bemerkbar macht, ist daher unklar, wie das Team einräumt.
Bekannt ist aber auch, dass gerade Fledermaus-Populationen oft nur langsam von Verlusten erholen: „Der Verlust dieser Schlagopfer ist für die Populationen oftmals schwierig abzufangen, da die betroffenen Arten geringe Reproduktionsraten haben“, erklärt Scholz. Hinzu kommt, dass die Standorte von Windanlagen oft ohnehin schon durch Monokulturen und eine geringe Artenvielfalt geprägt sind. Das könnte die Ökosysteme noch anfälliger gegen Störungen machen.
Mehr vorübergehendes Abschalten nötig
Die Ergebnisse bestätigen damit die Zwickmühle, in der sich die Energiewende bewegt: „Es steht außer Frage, dass die aufgestellten Windenergieanlagen zum Schutz des globalen Klimas und hierüber auch zum Erhalt der Biodiversität beitragen“, sagt Voigt. „Auf welche Weise sich die Energiewende auf die biologische Vielfalt in den betroffenen Lebensräumen auswirkt, müssen wir aber noch erheblich genauer verstehen.“
Ein erster wichtiger Schritt zum Erhalt der Fledermäuse und ihrer funktionellen Rolle in ihren Lebensräumen wäre nach Ansicht der Forschenden eine verpflichtende Abschaltung der Windanlagen in Zeiten hoher Fledermausaktivität. Bisher wird dies nur bei neueren Windturbinen praktiziert, 75 Prozent der älteren Anlagen laufen hingegen bislang weiter. (Conservation Science and Practice, 2022; doi: 10.1111/csp2.12744)
Quelle: Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.
8. Juni 2022
- Nadja Podbregar