Medizin

Verweiblicht durch Paracetamol?

Einnahme in der Schwangerschaft könnte Verhalten und Sextrieb der Söhne beeinträchtigen

Nimmt die Mutter in der Schwangerschaft Paracetamol, dann könnte dies Spätfolgen beim Kind hervorrufen. © janula/ iStock.com

Subtile Spätfolgen: Wenn schwangere Frauen das Schmerzmittel Paracetamol einnehmen, könnte dies langfristige Folgen für ihr Kind haben. Denn das Mittel stört offenbar die Testosteron-Produktion beim Fötus, wie Versuche mit Mäusen belegen. Als Folge waren Sextrieb und maskulines Verhalten beim männlichen Nachwuchs gehemmt, bei Weibchen stieg das Risiko für Unfruchtbarkeit. Ähnliches könnte auch beim Menschen der Fall sein, meinen die Forscher.

Paracetamol gehört zu den beliebtesten frei verkäuflichen Schmerzmitteln – und in der Schwangerschaft sogar als das Mittel der Wahl. Denn vor allem im letzten Schwangerschaftsdrittel können andere Mittel wie Ibuprofen Fehlbildungen bim Ungeborenen fördern. Doch auch Paracetamol ist nicht ohne: Schon bei geringer Überdosierung kann es die Leber schädigen und es steht im Verdacht, bei längerer Einnahme Asthma und Allergien zu fördern.

Wie sich jetzt zeigt, könnte Paracetamol auch in der Schwangerschaft mehr negative Folgen haben als bisher angenommen. Indizien dafür haben David Møbjerg Kristensen von der Universität Kopenhagen und seine Kollegen bei Versuchen mit Mäusen entdeckt. Sie verabreichten trächtigen Mäuseweibchen das Schmerzmittel in einer Dosierung, wie sie für schwangere Frauen empfohlen wird. Nachdem die Jungtiere geboren und ausgewachsen waren, untersuchten sie deren Verhalten.

Passives Verhalten, keine Lust auf Paarung

Das Ergebnis: Die Söhne der mit Paracetamol behandelten Mäusemütter zeigten ein deutlich weniger maskulines Verhalten als ihre Artgenossen. Sie reagierten weniger aggressiv auf Konkurrenten und verteidigten ihre Reviere nicht. Insgesamt war das Verhalten dieser Mäusemänner passiver und „weiblicher“ als das von Kontrolltieren. Zudem erwiesen sie sich als unfähig zur Paarung, wie die Forscher berichten.

„In unserem Versuch waren die Männchen, die als Fötus dem Paracetamol ausgesetzt waren, einfach unfähig zu kopulieren. Auch ihr Sextrieb war unterdrückt“, berichtet Møbjerg Kristensen. „Offenbar ist bei ihnen die vorgeburtliche Programmierung auf männliches Verhalten nicht richtig verlaufen -und dies zeigt sich noch lange nachher in ihrem Erwachsenenalter. Das ist sehr beunruhigend.“

Sexzentrum im Gehirn verkleinert

Doch das ist nicht alles: Die Forscher entdeckten auch klar nachweisbare körperliche und neurologische Veränderungen bei den Mäusen. Bei den Männchen der Paracetamolgruppe war das Hirnareal, das den Sextrieb steuert, verkleinert: „Der sexuell dimorphe Kern enthielt bei diesen Männchen nur halb so viele Neuronen wie bei der Kontrollgruppe“, berichtet Koautor Anders Hay-Schmidt von der Universität Kopenhagen.

Auch in der Hirnaktivität gab es Unterschiede. Bei den pränatal dem Paracetamol ausgesetzten Mäusemännchen feuerten bestimmte Areale weniger stark. „Bei einem Gebiet, das für männliche Eigenheiten verantwortlich ist, halbierte sich die Feuerrate der Neuronen“, so Hay-Schmidt.

Vorgeburtlicher Testosteron-Mangel schuld?

Er und seine Kollegen führen diese Effekte darauf zurück, dass das Paracetamol die Testosteronproduktion beim Fötus hemmt. Studien zeigen, dass ein pränataler Mangel dieses Hormons das Verhalten männlicher Tiere und auch des Menschen nachhaltig beeinflussen und verändern kann. „Viele männliche Charakteristiken entwickeln sich dann nicht so, wie sie sollten“, erklärt Møbjerg Kristensen.

Aber das Paracetamol verändert offenbar nicht nur Verhalten und Neurologie von männlichen Mäusen – auch bei den Weibchen fanden die Wissenschaftler Spätfolgen. Hatte die Mutter während der Schwangerschaft Paracetamol bekommen, bildeten die Töchter später weniger Eizellen in ihren Eierstöcken. Dadurch wurden sie schneller unfruchtbar.

Auf den Menschen übertragbar?

Nachgewiesen haben die Forscher diese Spätfolgen bisher nur bei Mäusen. Doch sie halten es für sehr wahrscheinlich, dass ähnliche Effekte auch beim Menschen auftreten. Direkt getestet werden kann dies allerdings nicht – eben weil der Verdacht besteht, dass das Paracetamol langfristige Folgen verursacht.

Sollten schwangere Frauen nun grundsätzlich auf Paracetamol verzichten? „Ich denke generell, dass Menschen sehr gut überlegen sollten, bevor sie ein Arzneimittel einnehmen“, sagt Møbjerg Kristensen. „Inzwischen ist die Einnahme von Paracetamol so alltäglich, dass wir vergessen, dass es ein Arzneimittel ist – und wie alle Medikamente auch Nebenwirkungen hat.“

Schwangere sollten daher Paracetamol nur dann einnehmen, wenn es wirklich nötig ist – und sich von ihren Ärzten beraten lassen, so die Empfehlung der Wissenschaftler. (Reproduction, 2017)

(University of Copenhagen, 23.06.2017 – NPO)

Keine Meldungen mehr verpassen – mit unserem wöchentlichen Newsletter.
Teilen:

In den Schlagzeilen

News des Tages

Skelett eines ungeborenee Kindes

So entstehen die Knochen des ungeborenen Kindes

Astronomen entdecken jüngsten Transit-Planet

Mehr Blackouts durch Wind- und Sonnenstrom?

Parkinson: Wenn mehr Dopamin mehr Zittern bedeutet

Diaschauen zum Thema

Dossiers zum Thema

Schmerz - Alarmstufe Rot im Nervensystem

Bücher zum Thema

Schmerzen verstehen - von David Butler und Lorimer G. Moseley

Tabletten, Tropfen und Tinkturen - Medizin im Alltag von Cornelia Bartels, Heike Göllner und Jan Koolman

Feuerwerk der Hormone - Warum Liebe blind macht und Schmerzen weh tun müssen von Marco Rauland

Top-Clicks der Woche