2004 erlitt der heutige Präsident der Ukraine, Viktor Juschtschenko, eine schwere Dioxinvergiftung. Forscher haben jetzt mehr als 100 Proben aus dem Körper des Politikers analysiert, um die Entgiftungsmechanismen des menschlichen Körpers zu entschlüsseln. Es gelang ihnen erstmals, die Abbauprodukte des Giftes zu identifizieren. Sie beobachteten zudem, dass bei hohen Dioxindosen, wie im Fall Juschtschenko, die Ausscheidung schneller als erwartet erfolgt. Ihre Studie ist jetzt in der Fachzeitschrift „The Lancet“ erschienen.
Der Fall Juschtschenko
Im Herbst / Winter 2004 fanden in der Ukraine Wahlen für einen neuen Präsidenten statt. Viktor Juschtschenko, aussichtsreicher Kandidat für das Amt, fiel während des Wahlkampfs überraschend wegen einer mysteriösen Erkrankung aus. Wie sich nach drei Monaten herausstellte, handelte es sich um eine Dioxinvergiftung. Wegen der Seltenheit dieses Vergiftungsbildes gestaltete sich die Diagnose als schwierig, aber der Zufall half mit. Die Chlorakne, die sich nach einigen Wochen gut sichtbar im Gesicht manifestierte, führte schließlich einen englischen Mediziner auf die richtige Spur.
Zwei unabhängige Labors fanden in der Folge im Blut eine Dioxinkonzentration, die über 50.000-mal höher lag als im Bevölkerungsdurchschnitt. Da lediglich reines TCDD nachgewiesen wurde, muss von einer absichtlichen Vergiftung mit synthetisch hergestelltem Dioxin ausgegangen werden. Dioxine bilden eine ganze Substanzgruppe; 2,3,7,8-Tetrachlorodibenzo-p-dioxin (kurz TCDD) ist die giftigste Substanz der Gruppe.
Mehr als 100 Proben analysiert
Jetzt haben Forscher der Abteilung „Analytische Chemie“ der Empa – Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt zusammen mit Ärzten des Universitätsspitals Genf den Fall des ukrainischen Präsidenten wieder aufgerollt. Sie analysierten Proben, die sich Juschtschenko über drei Jahre hinweg in Krankenhäusern in Genf und Kiew entnehmen lassen hatte. Er hat einer Erforschung und Veröffentlichung der Ergebnisse ausdrücklich zugestimmt.
Anhand der mehr als 100 Proben von Blut, Urin, Stuhl, Schweiss, Haut, Hautzysten und Fettgewebe konnten sie nun nachverfolgen, wie Dioxin im menschlichen Körper abgebaut und ausgeschieden wird. „Wir konnten beim Menschen erstmals Dioxinabbauprodukte identifizieren und diese auch quantifizieren“, fasst Empa-Experte Markus Zennegg, der den größten Teil der Analysen durchgeführt hat, das wichtigste Resultat zusammen.
Abbau wegen der hohen Dosis beschleunigt
Als Hauptausscheidungsweg ermittelten die Forscher den Verdauungstrakt, was aus Tierversuchen bereits bekannt war. Im Weiteren fanden sie eine massiv verkürzte Halbwertszeit von knapp 16 Monaten statt der bislang bekannten fünf bis zehn Jahre. Die hohe Dosis hatte den Körper offenbar veranlasst, die Produktion der für den Dioxinabbau verantwortlichen Enzyme zu erhöhen.
Nicht das erste Dioxin-Opfer
Die Geschichte der Vergiftung und die extrem hohe Dosis machen den Fall Juschtschenko einzigartig. Der Politiker ist jedoch keineswegs das erste Dioxinopfer. So kam es beispielsweise 1976 in einer Chemiefabrik im norditalienischen Seveso zu einem dramatischen Chemieunfall. Dabei verseuchte
eine Chemikalienwolke, die grosse Mengen an TCDD enthielt, ein Gebiet von 15 Quadratkilometern. TCDD ist seither umgangssprachlich auch als Sevesogift bekannt. Die Sanierung und Aufarbeitung des Unfalls dauerten Jahre. Ebenfalls eine Kontamination mit Dioxinen erfolgte im Vietnamkrieg, als die US-
Luftwaffe bei der Kriegsführung das stark mit Dioxin verunreinigte Entlaubungsmittel „Agent Orange“ großflächig einsetzte.
„Das dreckige Dutzend“
Dioxine gelten als extrem giftige Umweltschadstoffe, die nur sehr langsam abgebaut werden. Für sie gibt es keine technische Anwendung. Sie entstehen als unerwünschte Nebenprodukte bei Verbrennungsprozessen, beispielsweise bei der Müllverbrennung. Dioxine sind äusserst stabil und verbleiben sehr lange in der Umwelt. Dioxine gehören zum „dreckigen Dutzend“, einer Gruppe langlebiger organischer Schadstoffe wie etwa Pestizide, deren Herstellung und Verwendung 2001 durch ein internationales Abkommen, die Stockholmer Konvention, verboten wurden. Akutes Symptom einer Dioxinvergiftung ist die Chlorakne, erkennbar an auffälligen Geschwulsten und Zysten. Auch andere Organe, vor allem die Leber, sind betroffen.
(Empa – Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt, 06.08.2009 – NPO)