Überraschender Fund unter dem Meeresboden: Die Zahl und Gesamtmasse der Viren in Sedimenten unterhalb der Meere ist deutlich höher als bisher angenommen, wie Untersuchungen deutscher Geologen und Mikrobiologen zeigen. Die Wissenschaftler vermuten, dass die Viren in diesem extrem nährstoffarmen Lebensraum die ökologische Funktion von Räubern übernehmen.
Zwei Drittel unseres Planeten sind von Ozeanen bedeckt. Der Boden der Weltmeere ist keinesfalls unbesiedelt, mehr und mehr Details über Leben und Artenvielfalt am Meeresgrund kommen ans Licht. Ähnlich verhält es sich mit den nährstoffarmen Sedimenten tief unter dem Meeresboden: hier leben zahllose Mikroorganismen. „Schon seit einigen Jahren ist bekannt, dass die Masse aller lebenden Mikroben im Meeresboden mindestens genauso groß ist wie die der Bewohner der darüber liegenden Weltmeere“, sagt dazu der Geomikrobiologe Jens Kallmeyer vom Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ) in Potsdam. „Eine bisher vernachlässigte Unbekannte sind allerdings die Viren.“
Viren in Sedimenten aus allen Weltmeeren
Welche Rolle Viren in diesem Lebensraum spielen, haben die Wissenschaftler des GFZ gemeinsam mit Kollegen der Universität Oldenburg in Sedimentproben untersucht. Die Proben stammten aus allen Weltmeeren, aus Tiefen von bis zu 320 Metern unter dem Meeresboden und bis zu 14 Millionen Jahre alten Bodenschichten. Dabei fanden sie Erstaunliches heraus: Überall überstieg die Menge der Viren in den Proben die Zahl der Bakterien um ein Vielfaches mehr als erwartet. In den nährstoffärmsten Meeressedimenten der Erde, unterhalb des Südpazifiks, fanden die Forscher sogar bis zu 225-mal so viele Viren wie Bakterien, wie sie in der Online-Ausgabe des „Journal of the International Society for Microbial Ecology“ berichten.
Im Meerwasser und in oberflächennahen Sedimenten sind Viren nur etwa zehnmal häufiger als Bakterien, da sie aber wesentlich kleiner sind, fällt ihre Biomasse kaum ins Gewicht. Anders in den kargen Sedimenten aus der Tiefe: Hier stellen die Viren durch ihre viel größere Übermacht den größten Teil der Biomasse in diesem extremen Lebensraum dar.
Weniger Nährstoffe, mehr Viren
Die Forscher fanden außerdem heraus, dass sich das Verhältnis von Viren zu Mikroben immer stärker zu den Viren hin verschiebt, je weniger Nährstoffe vorhanden sind. Die überraschend hohe Zahl der Viren erklären sie folgendermaßen: Trotz der wenigen Nährstoffe können einige Bakterien überleben und aktive Populationen aufrechterhalten. Viren sind nicht in der Lage, sich selbstständig zu vermehren: Stattdessen befestigen sie sich auf der Oberfläche von Mikroben und injizieren ihre DNA in deren Zellen. Die infizierte Bakterienpopulation produziert so ständig neue Viren. Durch die kargen Bedingungen und ihre geringe Anzahl sind die Bakterien weniger in der Lage, sich den Viren zu widersetzen. Dadurch bleiben diese länger erhalten und sammeln sich in den Sedimenten an.
Die Viren erfüllen dadurch nach Ansicht der Wissenschaftler die Funktion von Räubern im Ökosystem unter dem Meeresboden. Bisher nahm man an, dass hauptsächlich räuberische Organismen wie andere Einzeller oder auch Würmer oder Schnecken die Größe der Mikrobenpopulation steuern. Die jetzt vorgestellten neuen Ergebnisse zeigen, dass diese Annahmen zumindest unvollständig sind.
(ISME Journal, 2014; doi: 10.1038/ismej.2013.245)
(Helmholtz-Zentrum Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ, 22.01.2014 – AKR)