Sie sind älter als Dinosaurier und sorgen im Regenwald für fruchtbaren Boden: Riesenkugler, eine Art von Tausendfüßlern, die im zusammengerollten Zustand so groß wie eine Apfelsine sind. Fünf bisher völlig unbekannte Arten hat ein Bochumer Zoologe in Madagaskar gefunden.
Gerade erst entdeckt, sind die Riesenkugler bereits vom Aussterben bedroht. Sie sind Teil der einzigartigen Fauna Madagaskars und durch die Abholzung der Wälder akut gefährdet, wie der Bochumer Zoologe Thomas Wesener feststellen musste. Er hat die Tausendfüssler bei einer Exkursion auf der Tropeninsel entdeckt und will sie nun wissenschaftlich beschreiben.
Lebende Fossile
Die Riesenkugler, wissenschaftlich „Sphaerotheriiden“, waren seit über 100 Jahren nicht mehr Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen – trotz ihrer beeindruckenden Größe. Die Tiere sind sehr ursprünglich gebaut und vermutlich bereits vor den Dinosauriern entstanden. Sie können sich zu einer perfekten Kugel einrollen, die sämtliche Beine, die Bauchseite und den Kopf vollständig in sich birgt – dadurch sind sie für viele Feinde unangreifbar. Als besonderes Kennzeichen besitzen die madagassischen Arten in beiden Geschlechtern Zirp-Organe, mit denen sie Töne erzeugen, die bei der Paarung eine Rolle spielen. Außerdem zeichnen sie sich durch ihre besondere Farbenpracht und den Riesenwuchs aus. Während einheimische Kuglerarten maximal die Größe einer Erbse erreichen, sind die größten Arten auf Madagaskar eingekugelt etwa so groß wie eine Orange, was den Tieren ihren Namen einbrachte.
Ökologisch wertvoll
Die Riesenkugler haben eine große ökologische Bedeutung: Die Tiere ernähren sich nach dem heutigen Kenntnisstand ausschließlich von altem Laub und vermoderndem Holz. Daher sind die Riesenkugler in ihren Verbreitungsgebieten ebenso unverzichtbar wie bei uns die Regenwürmer. Sie zerkleinern die Streu des Waldbodens und machen totes Pflanzenmaterial für Mikroorganismen verfügbar. Die zersetzen die Reste so, dass die Hauptnährstoffe wiederum durch Pflanzen aufgenommen werden können. Zudem graben die die Riesenkugler beständig im Boden, durchmischen ihn und lockern ihn auf. Besonders die Böden in Plantagen sind in Gebieten mit Riesenkuglern deutlich nährstoffreicher als dort, wo diese Tiergruppe nicht mehr auftritt.
Steppe verdrängt Kugler
Gefunden hat Thomas Wesener die Riesenkugler im Küstenregenwald Madagaskars. Drei der Arten sind „endemisch“, das heißt, sie kommen ausschließlich hier in jeweils einem der verbliebenen Regenwaldgebiete vor. Ein Großteil der Wälder, die einst fast die gesamte Insel bedeckten, ist bereits verschwunden. Einmal abgeholzt, wird die dünne Humusschicht binnen kürzester Zeit weggeschwemmt und eine lebensfeindliche Steppenlandschaft tritt an ihre Stelle. Die Vernichtung des Restwaldes hätte große Auswirkungen: Die gerade erst entdeckten Arten würden unwiederbringlich aussterben – mit unüberschaubaren Kaskadeneffekten auf das gesamte Ökosystem. Umso bedeutender sind die laufenden Erfassungen und taxonomischen Arbeiten an den Tausendfüßlern. Eine große Anzahl von Tierarten würde in den nächsten Jahren, nicht nur auf Madagaskar, aussterben, ohne dass die Menschheit überhaupt je Kenntnis von ihnen hatte.
(idw – Ruhr-Universität Bochum, 21.09.2004 – ESC)