Gemischte Darmflora: Blauwal und Co tragen ähnliche Bakterien im Darm wie eine Kuh –
obwohl sie sich vorwiegend von Krebstieren ernähren. Für diesen scheinbar paradoxen Fund gibt es aber eine Erklärung: Statt zähes Gras wie die Wiederkäuer verdauen die Meeressäuger mit Hilfe dieser Mikroben die harten Schalen der Krebse. Dies verrät nicht nur Neues über die Ernährung der Meeressäuger, sondern auch über ihre Abstammung, schreiben die Wissenschaftler im Magazin „Nature Communications“.
Die großen Bartenwale wie Blauwal, Buckelwal, Grönlandwal oder Nordkaper sind nicht unbedingt als Raubtiere bekannt. Dennoch sind sie eindeutig Fleischfresser: Ihre Nahrung besteht vor allem aus Massen von winzigen Krebsen, dem Krill. Diese fleischhaltige Ernährung spiegelt sich auch in der Darmflora der Meeressäuger wieder: „Sie haben ähnliche Arten von Mikroben wie Löwen und Tiger, deren Diät sehr reich an Fleisch ist“, erklärt Peter Girguis von der Harvard University.
„Halb Wiederkäuer, halb Fleischfresser“
Der Evolutionsbiologe Girguis hat gemeinsam mit Kollegen die Darmbakterien von Walen genauer untersucht. Dabei fanden sie neben den für Fleischfresser typischen Mikrobengemeinschaften auch Überraschendes: Im Darm der Wale finden sich auch Bakterien, die dem Mikrobiom im Verdauungstrakt von Pflanzenfressern ähneln. Dieser Teil der Wal-Darmflora erinnert stark an Wiederkäuer wie Rinder. „Wale haben ein Mikrobiom das aussieht wie halb Wiederkäuer und halb Fleischfresser“, beschreibt Girguis.
Bei den Wiederkäuern schließen diese Bakterien die ansonsten schwer verdauliche Zellulose aus den gefressenen Pflanzen auf und machen sie so für die Tiere als Nahrungsquelle verfügbar. Im Meer gibt es allerdings nur wenig Zellulose und Wale fressen keine Pflanzen. Doch die Forscher haben eine Erklärung, warum die Wale diese Bakterien brauchen: Die Schalen der Krill-Krebse bestehen aus Chitin und dieses ähnelt chemisch der Zellulose.
Wal-Fäkalien als Informationsquelle
Girguis und Kollegen vermuten, dass ein Teil des Verdauungssystems der Wale ähnlich funktioniert wie bei den wiederkauenden Kühen: „Wir nehmen an, dass dort chitin-abbauende anaerobe Bakteriengemeinschaften leben, die dieses Material zerlegen und für den Wal verfügbar machen“, so Girguis. „Das nützt ihnen auch als Fleischfresser, denn es lässt sie den maximalen Nährwert aus ihrem Futter ziehen.“ Dass der Verdauungstrakt der Wale wie bei Rindern aus mehreren Kammern besteht, ist bekannt. Dass diese auch eine ähnliche Funktion mit ähnlichen Bakterien beinhalten könnten, ist dagegen neu.
Für ihre Untersuchung nutzten die Wissenschaftler Proben von Wal-Fäkalien, die sie im Ozean aufspüren und einsammeln mussten. Daraus lassen sich noch deutlich mehr Informationen gewinnen als nur über den Verdauungstrakt und die Nahrung der Wale. Über enthaltene DNA lässt sich die jeweilige Art bestimmen und auch einige Hormone und Umweltgifte sind darin nachweisbar. Daher sind die Fäkalien eine wertvolle Informationsquelle, auch ohne dass die Forscher auf Waljagd gehen müssen.
Evolution der Darmflora
Die Studie liefert noch mehr Informationen, jenseits des Verdauungssystems der Wale: „Wenn man das Mikrobiom eines Organismus betrachtet, kann man zu einem gewissen Grad auch in der Zeit zurückschauen und dessen Vorfahren sehen“, sagt Girguis, „denn miteinander verwandte Organismen scheinen ähnliche Mikrobiome zu beherbergen.“
Und obwohl die Wale mittlerweile einen völlig anderen Lebensraum besiedeln und sich anders ernähren, ähnelt ihre Darmflora noch teilweise der ihrer entfernten wiederkäuenden Verwandten, mit denen sie gemeinsame Vorfahren haben. So erhalten die Forscher auch neue Einblicke in die Evolution der Wale: Sie vermuten, dass die Grundlagen der Zellulose-Verdauung den Meeressäugern auch im Ozean einen Vorteil bot und deshalb erhalten blieb – trotz der völlig anderen Umweltbedingungen.
Hilfe für Wale in Gefangenschaft?
Für zukünftige Untersuchungen hoffen Girguis und Kollegen, auch Proben von Bakterien aus dem Magen der Wale untersuchen zu können. Außerdem wollen sie ihre bislang auf Bartenwale begrenzten Ergebnisse auch mit der Darmflora von Zahnwalen vergleichen. Deren typische Nahrung enthält viel weniger Chitin.
Außerdem haben bereits einige Aquarien Interesse an den Studienergebnissen gezeigt: Sie erhoffen sich bessere Informationen über die Gesundheit der von ihnen gehaltenen Meeressäuger. „Viele Aquarien wissen, ob ihre Wale gesund sind oder nicht, aber sie kennen nicht immer den Grund“, meint Girguis. Er glaubt, dass die Darmbakterien wichtige Hinweise liefern und so die Gesundheit der gefangenen Wale fördern können. „So lange Menschen noch Wale in Gefangenschaft halten, hat diese Forschung also einen Wert.“ (Nature Communications, 2015; doi: 10.1038/ncomms9285)
(Harvard University, 24.09.2015 – AKR)