In der Grube Messel wurde im Jahr 2005 ein 47 Millionen Jahre altes Insekt gefunden, das zu den so genannten "Wandelnden Blättern" gehört. Diese Tiere imitieren täuschend echt die Blätter von Blütenpflanzen und tarnen sich so vor Feinden. Das fossile Wandelnde Blatt ist hervorragend erhalten und sieht heute lebenden Männchen dieser Gruppe verblüffend ähnlich. Die Entdeckung zeigt, dass das Imitieren von Laubblättern eine überraschend alte Evolutionsstrategie ist, die anscheinend schon seit vielen Millionen Jahren erfolgreich praktiziert wird. Dies berichten die Paläontologen Sonja Wedmann und Professor Jes Rust von der Universität Bonn sowie der Göttinger Zoologe Sven Bradler in der aktuellen Ausgabe der Wissenschaftszeitschrift "Proceedings of the National Academy of Science" (PNAS).
Das uralte Insekt hat nach Angaben der Forscher große Ähnlichkeit mit bereits früher gefundenen fossilen Laubblättern aus der Grube Messel. Besonders sein Hinterleib ist seitlich verbreitert und sieht sehr blatt-ähnlich aus. Auch in der Größe und anderen äußeren Merkmalen zeigt das Fossil zahlreiche Übereinstimmungen mit Männchen der Wandelnden Blätter. Aber es sind auch kleine Unterschiede vorhanden, beispielsweise in Details im Fortpflanzungsapparat des Fossils. Daraus lassen sich, so die Wissenschaftler, Rückschlüsse auf die basale Stellung des Fossils im Stammbaum der heutigen Wandelnden Blätter ziehen.
Wandelnde Blätter ahmen nicht nur durch ihr Äußeres Laubblätter nach, sondern ein wichtiger Teil ihrer erfolgreichen Tarnungsstrategie liegt in ihrem besonderen Verhalten. Die Tiere sind nachtaktiv, tagsüber verharren sie stundenlang völlig regungslos. Bei Störungen imitieren sie durch schaukelnde Bewegungen ein sich im Wind bewegendes Blatt, um ihre Fressfeinde zu täuschen. Sehr wahrscheinlich waren diese Verhaltenweisen auch schon vor 47 Millionen Jahren ausgeprägt.
Verbreitungsgebiet früher viel größer
Mögliche Räuber aus der Grube Messel, die auf diese Insekten Jagd machten, sind Vögel, ursprüngliche Primaten und Fledermäuse. Die perfekte Tarnung des fossilen Exemplars belegt, so die Forscher, dass schon vor fast 50 Millionen Jahren ein starker Selektionsdruck durch Fressfeinde geherrscht haben muss, die sich bei der Jagd vor allem auf ihre Augen verließen.
Bei allen heutigen Wandelnden Blättern sehen Männchen und Weibchen sehr unterschiedlich aus, wobei Weibchen die Laubblätter noch perfekter imitieren als die Männchen. Aufgrund der großen Ähnlichkeit des Fossils mit heutigen Männchen scheint es möglich, dass vor 47 Millionen Jahren auch die Weibchen schon so aussahen wie heute und deshalb vielleicht von den Fossiliensammlern für Blätter gehalten wurden.
Der Fossilfund aus der Grube Messel in Deutschland zeigt ferner, dass das frühere Verbreitungsgebiet dieser Tiergruppe deutlich größer war als heute, denn von den heutigen Wandelnden Blättern sind nur 37 Arten aus Südostasien und angrenzenden Gebieten bekannt. Das Fossil zeigt also, dass es sich um eine Relikt-Verbreitung handelt.
(idw – Universität Bonn, 02.01.2007 – DLO)