Bei Alzheimer oder Parkinson gehen im Gehirn zunehmend Nervenzellen zugrunde. Bonner Wissenschaftler haben nun bei Gehirnzellen von Mäusen einen wichtigen Schalter entdeckt, der über Leben und Tod der Neuronen entscheidet. Die Forscher stellen die Ergebnisse ihrer neuen Studie jetzt im „Journal of Neuroscience“ vor.
In Deutschland sind bereits heute rund 1,3 Millionen Menschen von Demenzerkrankungen betroffen, nach Schätzungen wird sich ihre Zahl bis zur Mitte des Jahrhunderts verdoppeln. Bei neurodegenerativen Erkrankungen wie der Alzheimer-Demenz oder Parkinson gehen fortschreitend Gehirnzellen verloren. Folgen sind etwa Einbußen im Gedächtnis und Bewegungsstörungen.
Wissenschaftler weltweit suchen nach den Ursachen des dramatischen Verlustes an Nervenzellen, der offenbar nicht nur kranke, sondern auch gesunde Gehirnzellen betrifft. Forscher des Instituts für Rekonstruktive Neurobiologie der Universität Bonn haben nun anhand von Gehirnzellen aus der Maus eine Ursache aufgeklärt, die Gehirnzellen offenbar aufs Schafott treibt.
Oxidativer Stress knabbert Sialinsäuren an
Die Nervenzellen sind von einer Membran umhüllt, in deren äußerster Schicht Sialinsäure als natürlicher Baustein vorkommt. „Die Sialinsäuren sind besonders empfindlich und angreifbar. Sie können zum Beispiel durch oxidativen Stress abgeknabbert werden“, sagt Bettina Linnartz, die Erstautorin der Studie. „Es ist bekannt, dass dies im Zusammenhang mit neurodegenerativen Erkrankungen auftritt.“
Oxidativer Stress wird durch aggressive Sauerstoffverbindung ausgelöst, die bei Stoffwechselvorgängen entstehen und das Entgiftungsvermögen der Zellen überschreiten.
Nervenzellen von Mäusen untersucht
An Nervenzellen von Mäusen untersuchten Linnartz und Professor Harald Neumann, ob die Sialinsäuren ein Signal darstellen, das über den Verbleib der Gehirnzellen entscheidet. Die Forscher spalteten mit einem Enzym die Sialinsäure an den Nervenzellen der Nager ab. Dadurch wurde das Komplementsystem der Immunabwehr aktiv: Es bedeckt die Oberfläche von Krankheitserregern und sterbenden Zellen und ermöglicht dadurch den Fresszellen, die Angreifer zu attackieren.
Der sogenannte „Komplementrezeptor drei“ auf Fresszellen erkennt den Forschern zufolge die bedeckten Strukturen. Im Gehirn übernehmen Mikrogliazellen die Aufgabe, abgestorbene Zellsubstanzen und Fremdkörper zu beseitigen.
Die Mikrogliazellen beseitigten im Experiment jedoch nicht fremde Angreifer, sondern die vom Immunsystem markierten körpereigenen Nervenzellen. „Durch die fehlende Sialinsäure in der Membran wurden die eigenen Nervenzellen also als Feinde ‚ausgeflaggt’ und den Fresszellen preisgegeben“, erläutert Linnartz. „Und das obwohl die Gehirnzellen gesund waren.“
Forscher machen Probe aufs Exempel
Die Wissenschaftler machten anschließend die Probe aufs Exempel: Sie blockierten den Komplementrezeptor drei, der für die Erkennung der markierten Zellen wichtig ist. „Daraufhin wurden die Nervenzellen nicht von den Fresszellen angegriffen und blieben intakt“, sagt Linnartz. „Die Sialinsäuren auf der Membran der Nervenzellen bilden somit eine Art Schutzschicht. Wird diese beispielsweise durch oxidativen Stress im Gehirn entfernt, ist dies ein ‚Iss-mich‘ Signal für die Mikrogliazellen. Diese können mit Hilfe des Komplementrezeptors drei dieses Signal erkennen und die veränderten Nervenzellen auffressen.“ (Journal of Neuroscience, 2012; doi:10.1523/JNEUROSCI.3830-11.2012)
(Universität Bonn, 25.01.2012 – DLO)