Paläontologie

Waren die Denisova die ersten Tibeter?

Unterkieferfragment ist das älteste Fossil eines Menschen im Hochland von Tibet

Denisova-Fossil
Der Xiahe-Unterkiefer ist das erste Fossil eines Denisova-Menschen außerhalb von Sibirien. © Dongju Zhang/ Lanzhou Universität

Es ist ein spektakulärer Fund: Zum ersten Mal haben Forscher das Fossil eines Denisova-Menschen außerhalb von Sibirien entdeckt. Der gut erhaltene Teil eines Unterkiefers aus einer Höhle in Tibet ist rund 160.000 Jahre alt und ähnelt in seinen anatomischen Merkmalen den Funden aus der berühmten Denisova-Höhle. Die Knochen liefern damit einen handfesten Beleg für die Verbreitung dieser Frühmenschen in Ostasien. Und sie legen nahe: Die rätselhaften Homininen könnten die allerersten Menschen im tibetischen Hochland gewesen sein.

Die rätselhaften Denisova-Menschen haben sich im Erbgut vieler heute lebender Populationen verewigt. Spuren dieser Schwestergruppe der Neandertaler finden sich im Genom von Australiern, Melanesiern und Asiaten. Die Tibeter verdanken sogar ihre Höhenpassung einem Gen, das wahrscheinlich von den Denisova stammt. „Die Spuren von Denisova-DNA im Erbgut heutiger Populationen deuten darauf hin, dass diese Menschenform einst weit verbreitet gewesen sein könnte“, erklärt Jean-Jacques Hublin vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig.

Handfeste Belege für die Existenz der Denisova-Menschen sind allerdings rar. Sie beschränkten sich bislang auf ein paar Fragmente von Knochen und Zähnen, die Forscher in einer Höhle im sibirischen Altai-Gebirge gefunden haben. Umso spektakulärer ist daher nun das, was die Analyse eines menschlichen Unterkieferteils aus dem Hochland von Tibet enthüllt hat: Bei dem Fossil handelt es sich um den ersten konkreten Beweis für eine Verbreitung der Denisova-Menschen auch außerhalb von Sibirien.

Baishiya Karst-Höhle
Der Fundort, die Baishiya Karst-Höhle, befindet sich auf rund 3.000 Metern Höhe im tibetischen Hochland. © Dongju Zhang/ Lanzhou Universität

Fossil aus luftiger Höhe

Ein Mönch hatte die Knochen ursprünglich bereits im Jahr 1980 in der auf 3.280 Metern Höhe gelegenen Baishiya Karst-Höhle in Xiahe gefunden. Doch erst jetzt konnte der Unterkiefer, von dem nur die rechte Hälfte erhalten ist, einer eingehenden wissenschaftlichen Analyse unterzogen werden. Zu wem gehörten die Knochen einst? Weil die Wissenschaftler um Fahu Chen von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking keine brauchbare DNA aus dem Fossil isolieren konnten, nutzten sie Proteine aus einem Backenzahn, um diese Frage zu beantworten.

Dabei zeichnete sich ab: Die Knochen stammen wahrscheinlich von einem Denisova-Menschen. „Unsere Proteinanalyse hat ergeben, dass der Xiahe-Unterkiefer zu einer Population gehörte, die eng mit den Menschen aus der Denisova-Höhle verwandt war“, sagt Mitautor Frido Welker von der Universität Kopenhagen. Die anatomischen Merkmale sprechen ebenfalls für eine Zuordnung des Fossils zur Denisova-Familie, wie die Forscher berichten. Denn sowohl die primitive Form des Unterkiefers als auch die sehr großen Backenzähne sind Eigenschaften, die sich auch bei den Fossilfragmenten aus der Denisova-Höhle finden.

Mindestens 160.000 Jahre alt

Mithilfe der Uran-Thorium-Datierungen ließ sich dem Unterkiefer auch das Geheimnis um sein Alter entlocken: Den Ergebnissen zufolge ist das Fossil mindestens 160.000 Jahre alt – und damit ähnlich alt wie die ältesten Funde aus der Denisova-Höhle. „Dies legt nahe, dass die Denisova-Menschen oder mit ihnen eng verwandte Populationen tiefe Wurzeln in Zentralostasien haben“, schreibt das Team. Doch nicht nur das: Sein hohes Alter macht den Unterkiefer außerdem zu dem bisher ältesten bekannten Fossil eines Homininen im Hochland von Tibet. „Er ist mindestens 120.000 Jahre älter als die ältesten paläolithischen Fundstellen aus der Region“, konstatieren Chen und seine Kollegen.

Das bedeutet, dass der Denisova-Mensch die erste Menschenform im Hochland von Tibet gewesen sein könnte – und erklärt, warum dieser Frühmensch genetische Anpassungen an ein Leben in luftiger Höhe entwickelte, die er durch urzeitliche Seitensprünge an heute lebende Tibeter vererbte. „Die Urmenschen hatten sich schon lange vor der Ankunft des Homo sapiens in der Region erfolgreich an die hochgelegene, sauerstoffarme Umgebung angepasst“, erklärt Mitautorin Dongju Zhang von der chinesischen Universität Lanzhou.

Ähnlichkeiten des Xiahe-Unterkiefers mit anderen Fossilien aus China deuten den Forschern zufolge zudem daraufhin, dass diese Knochen möglicherweise ebenfalls den Denisova-Menschen zugeordnet werden können. „Unsere Analysen ebnen nun den Weg zu einem besseren Verständnis der homininen Evolutionsgeschichte während des Mittelpleistozäns in Ostasien“, schließt Jean-Jacques Hublin. (Nature, 2019; doi: 10.1038/s41586-019-1139-x)

Quelle: Nature Press/ Max-Planck-Gesellschaft

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