Biologie

Warum dominieren gerade wir Menschen die Welt?

Unsere unbegrenzte Vorstellungskraft unterscheidet uns von Tieren

Illustration eines Globus und menschlicher Silhouetten
Warum herrscht ausgerechnet der Mensch über die Welt und nicht eine andere Spezies? Forscher haben dazu eine neue Theorie. © metamorworks / iStock

„Open End“: Anthropologen haben eine neue Theorie aufgestellt, warum wir Menschen über andere Tiere auf der Welt dominieren. Demnach unterscheiden wir uns von anderen Spezies durch unsere nahezu unbegrenzte Vorstellungskraft, die uns stets neue Wege aufzeigt, um uns an Begebenheiten noch besser anzupassen. Während tierische Kulturen bei wachsender Komplexität ihrer Kulturtechniken stets an einen Endpunkt gelangen, kennt die menschliche Kultur demnach kein Ende – so die Theorie des Forschungsteams.

Wir Menschen geben unser gemeinsames Wissen und Können über Generationen hinweg immer weiter, sei es über unsere Gene oder über das Lehren und Nachahmungseffekte unter Artgenossen. Unsere Kompetenzen bleiben dadurch langfristig erhalten und entwickeln sich zugleich weiter.

Ähnliches tun Tiere. Beispielsweise entwickeln sich die Gesänge der Buckelwale und Savannensperlinge weiter, verbreiten sich zwischen Gruppen und werden im Laufe der Zeit komplexer – ähnlich wie sich menschliche Sprachen verändern. Und ähnlich wie wir lernen auch Schimpansen und Krähen seit Millionen von Jahren, Werkzeuge für verschiedene Probleme immer besser zu benutzen.

Auch Tiere haben eine sich entwickelnde Kultur

Diese und weitere neueren Funde belegen, dass Tiere sehr wohl eine Kultur haben, zu der im Laufe der Zeit immer neue Fähigkeiten und Aspekte hinzukommen. Diese Akkumulation von Kompetenzen galt bis vor zehn Jahren noch als rein menschlich, ist aber offenbar nicht einzigartig für die menschliche Evolution.

Warum ist die menschliche Kultur dennoch so viel mächtiger als Tierkulturen? Was ist das Besondere an unserer Art, dass sie die Welt beherrscht? Diese Fragen beschäftigen Wissenschaftler bereits seit Jahrhunderten, stellen sich angesichts jüngerer Erkenntnisse aber wieder aufs Neue.

Elterneffekt und Epigenetik

Die beiden Evolutionsanthropologen Thomas Morgan von der Arizona State University und Marcus Feldman von der Stanford University haben nun genauer untersucht, was der Mensch dem Tier in dieser Hinsicht voraushaben könnte. Wie andere Wissenschaftler vor ihnen verglichen auch Morgan und Feldman dafür zahlreiche menschliche und tierische Kulturen miteinander. Allerdings bezogen sie nun auch verschiedene Tierbeispiele für epigenetische Vererbung und elterliche Auswirkungen mit ein.

Ein klassisches Beispiel für einen elterlichen Effekt ist beispielsweise das Beibringen von Fertigkeiten wie dem Nüsseknacken von Schimpansen an ihren Nachwuchs. Dieses Abgucken schafft lokale Werkzeugkulturen unter den Primaten. Einen anderen Elterneffekt zeigen Blattschneiderameisen: Wenn eine neue Ameise schlüpft, sammelt sie einen kleinen Bissen des Pilzes, mit dem ihre Mutter in Symbiose lebt, und nimmt ihn mit in eine neue Kolonie. Im Laufe von Millionen von Jahren hat der symbiotische Pilz dadurch deutliche Unterschiede zum Wildtyp entwickelt – er ist gewissermaßen „domestiziert“.

Ein Beispiel für kumulative epigenetische Vererbung ist die Heuschrecke. Bei diesen Tieren ermöglichen es epigenetische Veränderungen, andere Gene abzulesen, wodurch sie sich je nach Größe ihrer Population innerhalb kurzer Zeit von grünen Einzelgängern zu gelb-schwarzen Schwarmtieren verändern können. Selbst diese Insekten nutzen und entwickeln demnach Errungenschaften ihrer Vorfahren weiter, um sich optimal an die lokalen Bedingungen anzupassen.

Menschliche Kultur ist „Open End“

Allerdings haben diese tierischen Entwicklungen Grenzen: Sowohl die epigenetische Vererbung als auch die elterlichen Effekte hören schließlich auf, sich weiterzuentwickeln, wie die Vergleiche ergaben. „Genau wie bei anderen Tierkulturen gibt es auch hierbei Zwänge, an die diese Systeme stoßen und die ihre Evolution aufhalten“, berichtet Morgan. Die tierischen Kulturen kommen demnach stets an einen Endpunkt, weil sie nur in begrenztem Umfang Wissen und Kompetenzen weitergeben können.

Anders jedoch bei uns Menschen: „Am Ende kamen wir zu dem Schluss, dass das Besondere an der menschlichen Kultur ihr ‚Open End‘ ist. Unsere Kompetenzen können sich ansammeln, ohne je aufzuhören, es geht einfach weiter“, so Morgan. Demnach dominieren wir die Welt, weil wir unendlich viele Möglichkeiten im Leben finden, uns an die Begebenheiten anzupassen und unser Verhalten zu optimieren sowie dieses Wissen an nachfolgende Generationen weiterzugeben.

Unendlich komplexe Abfolgen

Doch warum genau sind die Anpassungstechniken der Tiere begrenzt, unsere aber nicht? „Eine Möglichkeit könnte sein, dass sie sich aufwendige Sequenzen nicht so leicht vorstellen können, oder dass sie sich keine Teilziele vorstellen können“, vermutet Morgan. Als Beispiel nennt er die Zubereitung einer Mahlzeit – ein mehrstufiger Prozess, wie nur Menschen ihn durchführen können.

„Zuerst muss ich die Schüsseln, Töpfe und andere Ausrüstung besorgen. Dann muss ich die Zutaten in den Topf geben und mit dem Kochen beginnen, alles in der richtigen Menge und Reihenfolge. Dann muss ich es kochen, umrühren und die Temperatur überwachen, bis es die richtige Konsistenz erreicht hat, und dann muss ich es servieren“, erklärt der Biologe. „Jeder dieser Schritte ist ein Teilziel und muss in der richtigen Reihenfolge ausgeführt werden. Daher ist das Ganze ein aufwendiges Verfahren.“

Im Gegensatz zu Tieren macht das menschliche Gehirn bei solchen Prozessen einfach immer weiter, ohne je an Grenzen seiner Vorstellungskraft zu stoßen, so die Theorie der Forscher. Wir sind demnach als einzige Art in der Lage, höchst komplizierte Sequenzen von Anweisungen zu erstellen und zu behalten, wodurch wir eine nahezu unendliche Reihe von Verhaltensweisen ausführen können – eben mit „Open End“. Sollte sich diese Theorie als richtig erweisen, würde sie das Verständnis über unsere Art verändern. (Nature Human Behaviour, 2024; doi: 10.1038/s41562-024-02035-y)

Quelle: Arizona State University

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