Bewegung soll die Kreativität fördern – aber stimmt das auch? Das haben nun zwei Forscherinnen im Experiment überprüft. Dieses enthüllt: Nicht die körperliche Bewegung an sich ist entscheidend, sondern vielmehr deren wenig fokussierte Ziellosigkeit. Wer umherschlendert, hat eher originelle Ideen als jemand, der einer vorgegebenen Gehstrecke folgt. Ähnliches gilt für das freie Herumlümmeln auf einem Stuhl gegenüber dem fokussierten Blick auf den Bildschirm.
Wir Menschen sind einzigartig kreativ – die Entwicklung neuer Ideen liegt uns wahrscheinlich schon in den Genen, wie DNA-Vergleiche nahelegen. Unser kreatives Denken umfasst dabei sowohl das Erkennen von Zusammenhängen und die Kombination bekannten Wissens zu neuen Lösungen als auch das divergente Denken – die Entwicklung völlig neuer Ideen abseits gängiger Lösungswege. Wie gut wir bei letzterem sind, lässt sich schon an einem einfachen Worttest herausfinden.
Spaziergang für die Forschung
Doch wie fördert man die Kreativität? Wann kommen uns die besten Ideen? Neben dem träumerischen Halbschlaf gilt die körperliche Bewegung als besonders Geistesblitz-trächtig. Schon in der Antike machten Gelehrte gerne einen Spaziergang, um ihre Kreativität anzuregen. Warum und wie jedoch die Bewegung unser Denken anregt, ist noch unklar. Supriya Murali und Barbara Händel von der Universität Würzburg sind dieser Frage daher mit einer Reihe von Experimenten auf den Grund gegangen.
Dafür ließen sie Testpersonen entweder frei und ungerichtet in einem Park umherschlendern oder aber einem vorgegeben Pfad folgen. In einem zweiten Test konnten die Teilnehmenden entweder frei auf einem Stuhl herumlümmeln oder saßen am Schreibtisch und fixierten dabei einen Punkt auf dem Bildschirm. Bei beiden Durchgängen testeten die Forscherinne vorher und nachher mit einem standardisierten Test die Fähigkeit zum divergenten Denken.
Die Bewegung per se bringt es nicht
Das Ergebnis: Obwohl sich die Testpersonen bei den Gehtests gleich viel bewegt hatten, wirkte sich der Spaziergang nur in einer Gruppe positiv auf das kreative Denken aus – bei den selbstbestimmten, ziellosen Spaziergängern. „Unsere Forschung zeigt, dass es nicht die Bewegung an sich ist, die uns hilft, flexibler zu denken“, sagt Händel. Denn wenn diese Bewegung in vorgegebenen, begrenzten Bahnen stattfindet, bleibt die positive Wirkung auf die Kreativität offenbar aus.
Was aber ist dann die Triebkraft? Hinweise darauf lieferten die Ergebnisse des Experiments im Sitzen: Diejenigen, die ohne Vorgaben auf dem Stuhl saßen, schnitten in den Kreativitätstest ebenfalls besser ab als die Testpersonen, die sich auf den Bildschirmpunkt fokussieren sollten. „Demnach gibt es einen vom Grad der Bewegung unabhängigen Effekt, der mit Restriktionen zusammenhängt“, sagen Murali und Händel.
Fokus der Aufmerksamkeit entscheidend
Die Forscherinnen schließen aus ihren Ergebnissen, dass die Aufmerksamkeit eine Schlüsselrolle spielen könnte: Lassen wir unsere Gedanken frei schweifen und sind unfokussiert, wie beim Spazierengehen, scheint dies das divergente Denken zu fördern. Gibt es hingegen Vorgaben, die unsere Aufmerksamkeit einengen und in feste Bahnen lenken, bleibt der positive Effekt auf die Kreativität aus. Tatsächlich gibt es Hinweise darauf, dass kreative Menschen von Natur aus einen breitere Aufmerksamkeit zeigen als weniger kreative Personen.
Hinzu kommt ein weiterer Aspekt, wie die Forscherinnen erklären. Dem Modell des „dualen Pfades“ nach sind zwei Prozesse am kreativen Denken beteiligt: die kognitive Flexibilität und die kognitive Persistenz. „Flexibilität beinhaltet das Wechseln zwischen verschiedenen Ideen und Konzepten, die normalerweise nicht miteinander assoziiert sind“, berichten sie. „Die Persistenz hingegen umfasst die fokussierte Suche nach einer spezifische Lösung.“
Konkurrenz von Flexibilität und Persistenz
Weil diese konkurrierenden Denkweisen eng mit der Aufmerksamkeit verknüpft sind, bewirkt eine Veränderung des Fokus auch eine Verschiebung des Gleichgewichts von Flexibilität gegenüber Persistenz. Und je mehr das flexible Denken überwiegt, desto stärker fördert dies die divergente Kreativität. „Unsere Ansicht nach ist es daher die Aufweitung des Aufmerksamkeits-Fokus bei der freien gegenüber der vorgegebenen Bewegung, die unser neuronales System flexibler macht und das divergente Denken fördert“, so Murali und Händel.
Auf den Alltag bezogen bedeutet dies: Wenn wir kreative, neue Ideen brauchen, sollten wir besser nicht am Schreibtisch sitzen bleiben und auf den Monitor starren. Hilfreicher ist es, einfach mal unfokussiert den Blick schweifen zu lassen oder einen Spaziergang zu machen. (Psychological Research, 2022; doi: 10.1007/s00426-021-01636-w)
Quelle: Julius-Maximilians-Universität Würzburg