Tierisches Theater: Zügelpinguine in der Antarktis führen während der Brutzeit ein seltsames Schauspiel auf. Die Vögel beider Geschlechter schlagen mit den Flügeln, recken ihren Hals und rufen laut, während sie jeweils auf ihren Partner warten, der sie bei der Versorgung der Küken ablösen soll. Jetzt enthüllen neue Beobachtungen, dass dieses ekstatisch anmutende Verhalten offenbar ansteckend ist und wie eine Welle durch die ganze Pinguinkolonie laufen kann. Doch wozu dient das tierische Spektakel?
Antarktische Pinguine verhalten sich häufig merkwürdig: Sie strecken sich, schauen in den Himmel, schlagen mit ihren Flügeln und stoßen einen lauten Ruf aus – als würden sie in Ekstase geraten. Forschende beobachten dieses „ekstatische“ Schauspiel der flugunfähigen Vögel regelmäßig, sind jedoch bislang unschlüssig, wozu die Pinguine dieses „Spektakel“ („ecstatic display“) aufführen.
Was steckt hinter dem Verhalten?
„Eine der wenigen Studien dazu beschäftigte sich mit Adeliepinguinen (Pygoscelis adeliae). Dort schien es, dass nur Männchen das ‚ecstatic display‘ zeigen und das vor allem im antarktischen Frühling im Oktober“, sagt Koautor Ignacio Juarez Martínez von der University of Oxford. „Die Forschenden gingen deshalb davon aus, dass es sich um ein Paarungsritual handeln könnte.“ Auch bei Eselspinguinen (Pygoscelis papua) wurde das Verhalten nur bei Männchen zur Paarungszeit beobachtet.
Das Team um Juarez Martínez und Erstautor Friedhelm Hamann von der Technischen Universität Berlin ist diesem Verhalten nun bei antarktischen Zügelpinguinen (Pygoscelis antarctica) nachgegangen, einer mit den Adeliepinguinen verwandten Art. Hamann und seine Kollegen erstellten dafür zur Brutzeit im Januar über 26 Tage hinweg Aufnahmen von 16 Nestern in einer Kolonie. Zusätzlich nahmen sie den beobachteten Pinguin-Eltern Blut ab, um ihr Geschlecht zu bestimmten.
Eventkameras erlauben Aufnahmen in Zeitlupe
Für die Aufnahmen verwendeten die Forschenden sogenannte „Eventkameras“. Im Gegensatz zu herkömmlichen Kameras nehmen diese nicht ganze Bilder auf einmal auf, sondern registrieren für jedes Pixel zeitlich getrennt nur die Veränderungen in der Helligkeit, den „Events“. Das ermöglichte es den Biologen, die Bewegung der Pinguine schneller – quasi in Zeitlupe – und auch bei schlechten Lichtverhältnissen zu erfassen. „Wir konnten die Tiere so fast kontinuierlich beobachten“, sagt Hamann.
Anschließend generierten Hamann und seine Kollegen aus den Einzelaufnahmen 24 detaillierte Videosequenzen des ekstatischen Verhaltens. Mit diesen Videosequenzen trainierten die Biologen einen Algorithmus, der dann aus den gesamten Aufnahmen diejenigen mit „ecstatic display“ herausfilterte. Daraus ermittelten die Forschenden, wie häufig und unter welchen Umständen die Pinguine das Schauspiel aufführen.
Ekstatische Welle mit Ansteckungspotenzial
Das Resultat: „Das ‚ecstatic display‘ kommt erstaunlich oft vor, rund 20-mal pro Stunde“, so Hamann. Eine einzelne Aufführung dauert dabei zwischen einer und 40 Sekunden. Zudem ist das Spektakel der Seevögel quasi ansteckend: Direkte Nachbarn werden von Verhalten eines Pinguins dazu angeregt, es ebenfalls zu zeigen, wie die Wissenschaftler feststellten. „Auf diese Weise kann tatsächlich so etwas wie eine ekstatische Welle durch die gesamte Pinguin-Kolonie laufen“, so Juarez Martínez.
Insgesamt beobachteten die Biologen das aufgeregte Schauspiel bei beiden Geschlechtern gleich häufig. Allerdings zeigte jeder Pinguin umso öfter das „ecstatic display“, je länger er bereits auf seinen Partner beziehungsweise die Partnerin wartete. „Pinguine teilen sich das Brüten und auch die Versorgung der Küken. Immer abwechselnd sitzen sie auf dem Nest, während der andere im Meer nach Krill jagt“, erklärt Juarez Martínez.
Während dieser Fütterungszeit schlafen die Pinguine nur im Sekundenschlaf, wie eine frühere Studie zeigte. Zugleich steigt die Anzahl der „ecstatic displays“ exponentiell mit der verstrichenen Zeit seit der Wachablösung, wie das Team um Hamann nun feststellte. „Besonders nach der sechsten Stunde, zu der der Partner eigentlich wieder zurück sein sollte, nimmt die Häufigkeit extrem zu“, berichtet Juarez Martínez.
Revierverhalten statt Paarungsritual?
Doch wozu dient dieses merkwürdige Verhalten der Pinguine? „Da wir die Zügelpinguine außerhalb der Paarungszeit beobachtet haben, kann es sich nicht um ein Paarungsritual handeln“, sagt Juarez Martínez. Die alternative Hypothese seines Teams: Das „ecstatic display“ ist bei den Zügelpinguinen eine Art Revierverhalten, das besonders dann auftritt, wenn ein Pinguin lange auf seinen Partner oder seine Partnerin warten muss.
Demnach könnte das ekstatische Verhalten bei verschiedenen Pinguinarten unterschiedliche Funktionen erfüllen. Denkbar sei jedoch auch, dass es bei allen Pinguinen auf ähnliche Weise zur Kommunikation zwischen Paaren dient, so Hamann und seine Kollegen. Dem genauen Zweck des seltsamen Verhaltens wollen Hamann und seine Kollegen nun in weiteren Untersuchungen nachgehen. (Konferenzpapier arXiv:2312.03799v2)
Quelle: Technische Universität Berlin