Die Sättigung hält nicht lange an
Forschende um Marie Dittmann von der University of Cambridge haben dieses Rätsel nun mit der Hilfe von 87 pelzigen Assistenten gelöst. Besonders aufschlussreich war dabei ein Experiment, bei dem sie die Versuchshunde so viel Dosenfutter fressen ließen, wie ihr Herz begehrte. Interessanterweise hörten die Hunde mit Mutation fast nach derselben Menge freiwillig auf wie ihre Artgenossen ohne Mutation. Die POMC-Mutation kann also nicht grundsätzlich die Sättigung der betroffenen Labradore und Flat Coated Retriever hemmen, schlussfolgern Dittmann und ihr Team.
Was genau die Mutation stattdessen bewirkt, zeigte ein weiteres Experiment, bei dem die Hunde drei Stunden nach dem Frühstück eine Wurst in einer durchsichtigen Plastikbox präsentiert bekamen. Diejenigen mit POMC-Mutation versuchten deutlich stärker und leidenschaftlicher, an den Leckerbissen zu gelangen, als die Hunde ohne Mutation.
Daraus schließt das Team: „Betroffene Hunde neigen dazu, sich zu überfressen, weil sie zwischen den Mahlzeiten schneller hungrig werden als Hunde ohne diese Mutation“, erklärt Seniorautorin Eleanor Raffan, ebenfalls von der University of Cambridge. Hunde mit POMC-Mutation werden somit zwar von ähnlichen Mengen Futter satt wie ihre Artgenossen ohne Mutation, doch bekommen danach viel schneller erneut Hunger.
Schlankhalten ist schwierig, aber machbar
Das alleine wäre schon ein entscheidender Risikofaktor für Fettleibigkeit, doch Labradore und Flat Coated Retriever trifft die Mutation gleich doppelt. Denn sie haben nicht nur schneller wieder Hunger als gesunde Artgenossen, sondern verbrennen im Ruhezustand außerdem rund 25 Prozent weniger Energie als sie, wie Dittmann und ihre Kollegen durch eine Analyse der Atemluft schlafender Versuchshunde herausgefunden haben.
Um schlank zu bleiben, müssen Hunde mit POMC-Mutation daher deutlich weniger Kalorien zu sich nehmen als Hunde ohne Mutation, was durch ihr ausgeprägtes Hungergefühl jedoch erschwert wird. Der Dauerhunger lässt sich allerdings austricksen, wie die Forschenden betonen. Zum Beispiel indem Halter die täglichen Mahlzeiten in viele kleine Portionen aufteilen oder künstlich in die Länge ziehen. Zu diesem Zweck kann das Futter etwa in einen Puzzle-Futterautomaten gefüllt werden, bei dem die Hunde zunächst verschiedene Aufgaben lösen müssen, oder man verstreut es im Garten, um die Vierbeiner mit der Suche auf Trab zu halten.
Neuer Anstoß für Medikamentensuche
Die Erkenntnisse von Dittmann und ihren Kollegen helfen jedoch nicht nur übergewichtigen Hunden, sondern könnten sich bis zu einem gewissen Punkt auch auf den Menschen übertragen lassen. Denn ebenso wie die treuen Vierbeiner können auch wir an einer POMC-Mutation leiden, die unser Hungergefühl verstärkt und uns dadurch oft schon im Kindesalter übergewichtig macht. Versteht man jedoch, was genau diese Mutation biochemisch bewirkt, ließen sich womöglich Medikamente gegen ihre fatalen Auswirkungen entwickeln.
Wie Dittmann und ihr Team herausgefunden haben, verhindert die Mutation im POMC-Gen die Produktion zweier chemischer Botenstoffe im Hundegehirn: des Beta-Melanozyten-stimulierenden Hormons und des Beta-Endorphins. Sie beeinträchtigt aber anders als bislang angenommen nicht die Produktion des sogenannten Alpha-Melanozyten-stimulierenden Hormons. Dieser Umstand könnte die Medikamentenforschung nun in eine neue Richtung lenken. (Science Advances, 2024; doi: 10.1126/sciadv.adj3823)
Quelle: University of Cambridge
11. März 2024
- Anna Manz