Zoologie

Warum wachsen nicht allen Tieren Körperteile nach?

Regenerationsfähigkeit könnte von der Fortpflanzungsstrategie abhängen

Bild von verschiedenen Plattwurmarten
Plattwurmarten, wie sie hier abgebildet sind, unterscheiden sich erheblich in ihrer Fähigkeit, Körperteile nachwachsen zu lassen. Das könnte unter anderem damit zusammenhängen, wie sie sich fortpflanzen. © Miquel Vila-Farré/ Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften

Rätsel Regeneration: Nur wenigen Tierarten wachsen verletzte oder fehlende Körperteile nach. Warum das so ist, könnten Forschende mithilfe von Plattwürmern herausgefunden haben. Demnach unterscheiden sich verschiedene Plattwurmarten in dieser Regenerationsfähigkeit und zwar abhängig davon, wie sich die Tiere fortpflanzen. Die Regenerationsfähigkeit könnte sich daher parallel zur ungeschlechtlichen Fortpflanzung entwickelt haben.

In der Tierwelt finden sich einige Arten, die abgetrennte oder verletzte Körperteile oder sogar beinahe ganze Körper nachwachsen lassen können. Dazu zählen manche Asselspinnen und Schnecken, Zebrafische, Salamander und Axolotl. Besonders gut funktioniert das bei einigen Plattwurmarten: Zerschneidet man sie in viele kleine Stücke, wächst aus jedem ein neuer Wurm. Andere Plattwurmarten hingegen können fehlende oder defekte Gewebe oder Organe nicht einmal ansatzweise ersetzen.

„Diese Form der Regeneration scheint in der Tierwelt eher die Ausnahme zu sein, obwohl es für das Überleben große Vorteile bieten sollte“, sagt Seniorautor Jochen Rink vom Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften in Göttingen. Aber warum fehlt so vielen Tieren einschließlich uns Menschen die Fähigkeit zur Regeneration ganzer Körperteile? Wäre es nicht für alle Lebewesen hilfreich, wenn sich fehlende Gliedmaßen schneller reparieren? Diesen Fragen geht Rinks Team seit Längerem nach.

Molekularer Schalter

Frühere Experimente des Teams hatten bereits ergeben, dass die Regenerationsfähigkeit über molekulare Signale gesteuert wird. „Bei der Regeneration von Plattwürmern funktioniert der sogenannte Wnt/β-catenin-Signalübertragungsweg wie ein molekularer Schalter“, erklärt Rink. Ist dieser Signalweg „angeschaltet“, wächst den Würmern ein Schwanz, ist er „ausgeschaltet“, bildet sich ein Kopf. Wird der Signalweg komplett blockiert, verbessert sich insgesamt die Regenerationsfähigkeit – selbst bei Wurmarten die eigentlich keine kopfähnlichen Strukturen bilden können.

Nun hat das Team um Rink und seinen Kollegen Miquel Vila-Farré zusätzlich untersucht, in welchen Plattwurmarten dieser Mechanismus besonders effektiv ist und wann er sich im Laufe der Evolution entwickelt hat. Dazu untersuchten die Forschenden bei 36 verschiedenen Plattwurmarten, inwieweit diese ihren Kopf nachwachsen lassen können, nachdem sie enthauptet wurden. Möglich machte dies die über 40 Arten umfassende Plattwurmsammlungen des Instituts. „Dank dieser Kollektion können wir die Regenerationsfähigkeit der Arten unter standardisierten Laborbedingungen systematisch vergleichen“, erklärt der Zellbiologe.

Bei welchen Würmern wächst der Kopf nach?

Das Ergebnis: Die Plattwurmarten zeigten deutliche Unterschiede in der Regenerationsfähigkeit. „Wir haben drei Gruppen gefunden“, beschreibt Erstautor Vila-Farré. „Die erste Gruppe verfügt über schlechte bis keine Regenerationsfähigkeiten, die zweite kann Körperteile eingeschränkt ersetzen und die dritte weist eine zuverlässige Kopfregeneration auf.“ Die eingeschränkten oder fehlenden Fähigkeiten zur Regeneration beruhten dabei alle auf dem Wnt-Signalweg, berichten die Forschenden.

In einer ergänzenden Stammbaumanalyse rekonstruierten die Wissenschaftler dann, zu welchem Zeitpunkt der Evolution die verschiedenen Arten ihre Fähigkeit zur Kopfregeneration entwickelten beziehungsweise verloren. Es zeigte sich: „Die Fähigkeit zum Nachwachsen von Organen und Geweben hat sich mehrfach unabhängig voneinander in unterschiedlichen Plattwurmarten entwickelt und ist ebenso unabhängig voneinander in verschiedenen Arten über die Zeit wieder verloren gegangen“, fasst Vila-Farré die Beobachtungen zusammen.

Welche Rolle spielt die Fortpflanzung?

Aber warum? Wie die Vergleiche ergaben, unterscheiden sich die verschiedenen Plattwurmarten auch in ihrer Fortpflanzungsstrategie. Die Forschenden vermuteten daher, dass diese einen Einfluss auf die Regenerationsfähigkeit haben könnte. Um diese Hypothese zu untersuchen, prüften sie gezielt bei verschiedenen Stämmen der Plattwurmart „Schmidtea mediterranea“, die sich entweder ungeschlechtlich oder geschlechtlich vermehren, ob bei ihnen abgetrennte Körperteile nachwachsen und wie aktiv ihr Wnt-Signalweg ist.

Dabei stellten sie fest: Plattwürmer, die sich ungeschlechtlich fortpflanzen, spalten sich selbst in zwei Teile und jedes Stück wächst zu einem neuen Wurm heran. „Diese Spezies brauchen Regenerationsfähigkeiten für die Vermehrung“, schließt Vila-Farré. Im Gegensatz dazu pflanzen sich die Arten, denen in den Experimenten fehlende Körperteile nur teilweise nachwuchsen, fast ausschließlich sexuell fort. „Sie legen Eier und müssen für die Reproduktion keine Körperteile nachbilden“, erklärt Vila-Farré.

Tatsächlich fanden Vila-Farré und seine Kollegen auch auf molekularer Ebene entsprechende Unterschiede: Der molekulare Schalter des Wnt-Signalwegs war in den Stämmen von „Schmidtea mediterranea“, die sich sexuell fortpflanzen, wesentlich aktiver als bei Stämmen mit ungeschlechtlicher Vermehrung.

Ein evolutionärer Kompromiss

Die Ergebnisse legen nahe, dass der Wnt-Signalweg auch bei der Ausbildung des Fortpflanzungssystems eine wichtige Rolle spielt, wie die Forschenden berichten. „Dem Gewinn oder Verlust von Regenerationsfähigkeiten in verschiedenen Plattwurmarten könnten Wechselwirkungen zwischen dem Wnt-Signalweg und dem Fortpflanzungssystem zugrunde liegen,“ erklärt Rink. Die Forschenden vermuten, dass ein höherer Gehalt an Wnt-Signalen die Bildung von Hoden und Eidotter fördert, aber dies gleichzeitig zu Lasten der Regenerationsfähigkeit geht, da dies eine Hemmung des Wnt-Signalübertragungsweg erfordert.

Demnach könnte das An- und Abschalten dieses Signalwegs ein evolutionärer Kompromiss sein: Entweder effektive, sexuelle Fortpflanzung und schlechte Regeneration, oder umgekehrt. „Unsere Vermutung ist, dass sich die Regenerationsfähigkeit in Plattwürmern nicht zum Zweck der ‚Reparatur‘ von Wunden entwickelt hat, sondern zum Zweck der ungeschlechtlichen Fortpflanzung durch Teilung“, sagt Rink. Dies bietet eine mögliche Erklärung, warum in der Natur Arten mit und ohne Regenerationsfähigkeit entstanden sind.

Ob diese Theorie stimmt und ob es noch andere Tiergruppen gibt, bei denen dieser evolutionäre Kompromiss zum Tragen kommt, müssen nun weitere Studien belegen. Weiter erforscht werden sollte zudem, welche Rolle Umwelteinflüsse für die evolutionäre Entwicklung der Regenerationsfähigkeit spielen. (Nature Ecology and Evolution, 2023; doi: 10.1038/s41559-023-02221-7)

Quelle: Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften

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