Meeresforschung

Warum Robben nicht ertrinken

Meeressäuger können den in ihrem Blut zirkulierenden Sauerstoff spüren

Foto einer der untersuchten Kegelrobben
Trish, eine junge Kegelrobbe, die im Rahmen dieser Studie untersucht wurde. © Sea Mammal Research Unit

Einzigartige Anpassung? Robben haben eine unter Säugetieren besondere Eigenschaft: Sie können spüren, wie viel Sauerstoff ihr Blut enthält, wie nun eine Studie enthüllt. Dadurch können die Meeressäuger beim Tauchen länger unter Wasser bleiben, ohne zu ertrinken. Ihr Sauerstoffsensor sorgt dafür, dass sie rechtzeitig wieder auftauchen, wie die Forschenden in „Science“ berichten. Auch andere Meeressäuger könnten eine solche Geheimwaffe haben.

Die Körper von Meeressäugern wie Delfinen, Walen und Robben sind gut an das Leben im Ozean angepasst. Mit der Zeit haben sie eine Reihe von physiologischen Eigenschaften entwickelt, um im Wasser zu überleben und selbst lange und tiefe Tauchgänge zu überstehen. Dazu gehören beispielsweise die an Wasser angepassten Körperformen sowie die Thermo- und Druckregulation, um der Kälte und dem Druck der Tiefe standzuhalten.

Foto einer der untersuchten Kegelrobben
Quinn, eine junge Kegelrobbe, die im Rahmen dieser Studie untersucht wurde. © Sea Mammal Research Unit

Knackpunkt Atmung

Damit Wale, Robben und Co lange unter Wasser bleiben können, haben sie zudem verschiedene Methoden entwickelt, um Sauerstoff (O2) zu speichern und niedrige Sauerstoffwerte zu tolerieren. Manche Meeressäuger senken beispielsweise ihren Herzschlag, andere passen ihre Lunge an. Dadurch können sie lange die Luft anhalten. Dennoch brauchen sie regelmäßig frische Luft zum Atmen und müssen daher auftauchen, um nicht zu ersticken.

Aber woher wissen die tauchenden Meeressäuger, wann ihr Sauerstoffvorrat erschöpft ist? Die meisten Säugetiere können den in ihrem Blut zirkulierenden Sauerstoff nicht direkt wahrnehmen, sondern nur das Kohlenstoffdioxid (CO2) im Blut. Wenn der CO2-Gehalt erhöht ist, weist dies indirekt auf einen niedrigen Sauerstoffgehalt hin. Wie bei uns Menschen erzeugt dies bei den Tieren Unbehagen bis Panik sowie eine Art „Lufthunger“. Sie versuchen dann Luft zu holen.

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Können Kegelrobben Sauerstoff spüren?

Für die meisten Säugetiere reicht dieser Überlebensmechanismus aus, aber schützt er auch Meeressäuger auf ihren längeren Tauchgängen ausreichend vor dem Ertrinken? Oder können sie möglicherweise zusätzlich direkt den Sauerstoff in ihrem Blut wahrnehmen? Frühere Studien legen nahe, dass die Nerven in den Halsschlagadern von Robben empfindlicher auf Sauerstoffmangel reagieren als bei Landsäugetieren. Ob das stimmt, haben nun Forschende um Chris McKnight von der University of St Andrews in Schottland untersucht.

Dafür analysierten die Biologen bei sechs wild gefangenen Kegelrobben (Halichoerus grypus), ob diese schwankende Sauerstoffwerte direkt wahrnehmen und darauf reagieren können. Passen sie ihr Tauchverhalten an den Sauerstoff- und Kohlendioxidgehalt in ihrem Blut an? Um das herauszufinden, setzten die Forschenden die Robben in einer „Atemkammer“ verschiedenen Luftmischungen aus und beobachteten dann ihr Jagdverhalten unter Wasser in einer Testumgebung. Währenddessen sowie danach entnahmen sie ihnen Blut über ein automatisches System und maßen ihren Sauerstoffverbrauch beim Tauchen.

Robben reagieren auf veränderten Sauerstoffgehalt

Die Analysen ergaben, dass es tatsächlich einen direkten Zusammenhang gibt zwischen dem Sauerstoffanteil der eingeatmeten Luft und der Tauchdauer der Robben. Bei normaler Luft in der Atemkammer tauchten die Tiere im Schnitt rund vier Minuten lang. War der eingeatmete Sauerstoffanteil nur halb so hoch, beendeten die Robben ihre Tauchgänge schon durchschnittlich 27 Sekunden früher und blieben zudem 53 Sekunden länger zum Atmen über Wasser. War der Sauerstoffgehalt in der Atemkammer hingegen mehr als doppelt so hoch wie normal, blieben die Robben im Schnitt 14 Sekunden länger untergetaucht.

Der CO2-Gehalt in der Atemkammer hatte überraschend keinen Einfluss auf die Tauchdauer. Die Robben blieben bei hohen CO2-Konzentrationen nicht kürzer unter Wasser, selbst wenn diese 200-mal höher waren als in der normalen Luft, wie McKnight und sein Team feststellten. Allerdings dauerten dann die Atempausen der Robben länger: Sie blieben 73 Sekunden länger in der Atemkammer, bevor sie zu einem neuen Tauchgang aufbrachen.

Während der Unterwasserjagd verbrauchten die Robben in den Versuchen stets gleich viel Sauerstoff. Ihr Stoffwechsel passte sich demnach nicht an die unterschiedlichen Luftangebote an. Auch der pH-Wert des Blutes veränderte sich nicht.

Sauerstoff statt Kohlendioxid

McKnight und seine Kollegen schließen daraus, dass Kegelrobben nicht nur den CO2-Gehalt, sondern auch den Sauerstoffgehalt in ihrem Blut direkt wahrnehmen können. Das ermöglicht es ihnen, ihre Tauchdauer entsprechend zu regulieren – wobei sie primär auf den Sauerstoffgehalt reagieren und weniger auf den CO2-Gehalt. „Robben können ihr Tauchverhalten so regulieren, dass sie vermeiden, dass der arterielle O2-Spiegel Werte erreicht, die schwere neurologische Schäden verursachen und zum Ertrinken führen“, schreiben die Meeresforscher.

Die Biologen vermuten, dass dieser Sauerstofferkennung die bereits bekannten, ungewöhnlich sensiblen Chemorezeptoren in den Halsschlagadern der Robben zugrunde liegen. Diese Sensoren leiten die Signale an das Gehirn weiter und lösen bei zu geringen O2-Werten Alarm aus. Im Gegensatz dazu scheinen die CO2-Rezeptoren in den Adern der Robben oder die Neuronen, die deren Signale weiterleiten, schwächer zu reagieren als bei anderen Säugetieren, so die Forschenden.

Gemeinsame Fähigkeit unter Meeressäugern?

McKnight und seine Kollegen vermuten zudem, dass auch andere Meeressäuger diese oder ähnliche Fähigkeiten zur Sauerstoffwahrnehmung besitzen, da auch ihr Körper sich im Zuge der Evolution an lange Tauchgänge angepasst hat. Ob dies zutrifft und wie etwa andere Robbenarten, Seelöwen, Sehkühe, Wale oder Delfine Sauerstoff spüren, müssen nun Folgestudien zeigen. Die sollen dann auch klären, warum diese Fähigkeiten bei Landtieren fehlen.

„Die Unfähigkeit der meisten Säugetiere, einen abnehmenden Sauerstoffgehalt im Blut zu erkennen, ist möglicherweise eher eine ererbte als eine ursprüngliche Eigenschaft“, schreiben Lucy Hawkes von der University of Exeter und Jessica Kendall-Bar von der University of California in San Diego in einem begleitenden Kommentar zur Studie. „Möglicherweise verfügten die im Wasser lebenden Tetrapoden, aus denen sich die modernen Wirbeltiere entwickelten, über Sauerstoff-Wahrnehmungsfähigkeiten, die ihre terrestrischen Nachkommen verloren haben.“

Zu verstehen, wie die Sauerstofferkennung in verschiedenen Lebewesen funktioniert, könnte sowohl den Tierschutz als auch die Humanmedizin voranbringen, merken Hawkes und Kendall-Bar an. (Science, 2025; doi: 10.1126/science.adq4921 und doi: 10.1126/science.adw1936)

Quelle: American Association for the Advancement of Science (AAAS)

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