Rätselhafte Symmetrie: Unsere Arme und Beine sind in der Regel gleich lang – doch warum? Forscher haben nun ein Modell entwickelt, das dieses Phänomen erklären soll. Demnach könnten biologische Systeme die Ausbreitungsfrequenz von Molekülen nutzen, um ihre eigene Größe zu bestimmen. Diese Informationen nutzen sie dem Modell zufolge dann, um das Längenwachstum zu regulieren.
Egal ob Pflanze oder Tier, egal ob Mini- oder Riesenorganismus: Alle Lebewesen dieser Erde wachsen. Diese Beobachtung klingt banal – doch Forschern gibt sie noch immer Rätsel auf. Wie genau das biologische Wachstum vonstattengeht, ist eine der fundamentalen Fragen der Naturwissenschaft. Besonders spannend ist dabei das Phänomen der Symmetrie. So sind zum Beispiel in Paaren vorkommende Körperteile wie Arme und Beine in der Regel jeweils gleich lang. Doch wie schafft es der Organismus, sein Längenwachstum so exakt zu regulieren?
Gängigen Annahmen zufolge wird das Wachstum nicht nur durch äußere Faktoren beeinflusst, sondern vor allem auch von innen. Der Physik-Nobelpreisträger Robert Laughlin formulierte in diesem Zusammenhang die Theorie, dass sich Organismen im Grunde selbst vermessen und auf diese Informationen dann entsprechend reagieren können. Sie stellen demnach zum Beispiel das Längenwachstum von Armen und Beinen ein, wenn diese die richtigen Ausmaße erreicht haben.
Interne Vermessung
Physiker um Frederic Folz von der Universität des Saarlandes in Saarbrücken haben nun ein mathematisches Modell entwickelt, das erklärt, wie diese interne Vermessung funktionieren könnte. Als Modellsystem betrachteten sie dabei die Axone. Diese Nevenzellfortsätze verbinden unterschiedliche Zellen miteinander und leiten neuronale Signale weiter.
Interessanterweise variiert die Länge von Axonen im Körper von wenigen Mikrometern bis hin zu über einem Meter – dies macht den Wissenschaftlern zufolge umso deutlicher, dass Organismen die Länge ihrer Axone selbst regulieren können müssen. Laut ihrem Modell klappt dies mithilfe molekularer Botenstoffe: „Diese Moleküle breiten sich in chemischen Wellen aus und werden von der Hülle angehalten, in unserem Beispiel vom Ende des Axons“, erklärt Folz.
„Molekülwellen“ als Indikator
Entscheidend ist nun, wie lange diese „Molekülwellen“ für ihre Reise brauchen. Ist die Frequenz hoch, in der sie wieder am Ausgangspunkt ankommen, handelt es sich um eine kleine biologische Struktur, ist sie niedrig, um eine große. Folz und seine Kollegen veranschaulichen dies mit folgendem Beispiel: „Ein Molekül braucht für wenige Mikrometer innerhalb eines Bakteriums weniger Zeit als von der Wurzel einer Eiche bis zur Baumkrone.“
Anhand dieser Frequenz lässt sich die Länge körpereigener Strukturen wie Axonen tatsächlich vorhersagen, wie das Modell der Forscher zeigte. „Unser Modell ist nicht nur in der Lage zu erklären, wie Nervenzellen ihre eigene Länge bestimmen können, sondern es kann auch auf andere biologische Systeme verallgemeinert werden“, berichtet Folz.
Anwendung in der Elektronik?
Stimmt die Theorie der Wissenschaftler, dann kann ein biologisches System – egal ob Baum, Mensch oder einzelne Zelle – möglicherweise durch die Ausbreitung von Molekülen verursachte Schwingungen detektieren und dadurch die Länge bestimmter Körperteile bestimmen und regulieren.
Nach Ansicht des Teams ist der nun vorgestellte Ansatz nicht nur für Biologen interessant. „Unser Modell kann auch Einzug in die Elektronik finden, um verschiedene physikalische Größen zu regulieren“, schließt Folz. (Physical Review E, 2019; doi: 10.1103/PhysRevE.99.050401)
Quelle: Universität des Saarlandes