Biologie

Warum unsere Haare im Alter ergrauen

Einzigartiges Verhalten der Melanozyten-Stammzellen erklärt Haarentfärbung

graue Haare
Im Alter verlieren unsere Haare ihre Farbe und werden grau – aber warum? © Ralf Nau/ Getty images

Überraschende Erklärung: Ob unsere Haare grau werden oder genug Farbe erhalten, hängt von der Beweglichkeit der Pigmentzell-Vorläufer ab, wie eine Studie enthüllt. Demnach wandeln sich die Melanozyten-Stammzellen nur dann in Pigmentzellen um, wenn sie vom Haarfollikel in die Haarwurzel einwandern können. Schaffen die Zellen dies nicht, kehren sie wieder in den undifferenzierten Zustand zurück – eine unter Stammzellen einmalige Rückentwicklung, wie Forschende in „Nature“ berichten. Im Alter lässt diese Mobilität der Melanozyten-Stammzellen nach, dadurch bleibt der Nachschub neuer Pigmentzellen aus.

Welche Farbe unsere Haare haben, hängt von Pigmentzellen an unseren Haarwurzeln ab, den sogenannten Melanozyten. Sie produzieren je nach genetischer Ausstattung die Farbmoleküle, die uns blondes, braunes, schwarzes oder rotes Haar verleihen. Dies geschieht, indem die Melanozyten sich an der Haarpapille sammeln und die Pigmente an das heranwachsende Haar abgeben. Doch im Alter lässt dies nach: Die Pigmentbildung lässt nach und als Folge werden unsere Haare erst grau, dann weiß.

Lebenszyklus des Haarwuchses
Beim wachsenden Haar (Anagen) produziert die unten an der Haarwurzel sitzende Haarpapille das neue Haar. Dort sitzen auch die pigmentproduzierenden Melanozyten. In der Ruhephase (Teragen) verkümmert die alte Papille und das Haar löst sich. Mit dem Beginn der neuen Anagen-Phase wächst unter dem ausgefallenen Haar eine neue Bildungszone nach. © Artis777/ Getty images

Haarwachstum auf Zellebene verfolgt

Aber warum? Klar scheint, dass bestimmte Gene und auch starker Stress das Ergrauen der Haare fördern. In beiden Fällen entstehen aus den noch undifferenzierten Melanozyten-Vorläufern zu wenig oder gar keine neuen Pigmentzellen mehr. Doch warum diese Melanozyten-Stammzellen so früh schlappmachen und wie genau ihre Differenzierung zu Melanozyten verläuft, war bisher unklar.

Um diese Frage zu klären, haben Qi Sun von der New York University (NYC) und ihre Kollegen eine ungewöhnliche Langzeitstudie durchgeführt: Zwei Jahre lang verfolgten sie Verhalten und Entwicklung von individuellen Haaren und Haarwurzeln am Ohr von Mäusen. Mithilfe eines Fluoreszenzgens markierten die Forschenden dabei einzelne Melanozyten-Stammzellen und beobachten, wie sich diese im Laufe eines Haarlebenszyklus entwickelten.

Von der Stammzelle zur Pigmentzelle – und zurück

Es zeigte sich Überraschendes: Die Melanozyten-Stammzellen verhalten sich anders als andere Stammzellen im Körper. Statt sich nur in eine Richtung zu entwickeln – von der unreifen Stammzelle zur fertigen Pigmentzelle – können die Melanozyten-Vorläufer kurz vor dem Ziel wieder umkehren. Sie beginnen sich auszudifferenzieren, kehren aber in der Ruhephase des Haarwachszyklus wieder in ihren komplett unreifen Zustand zurück, wie Sun und ihre Kollegen beobachteten.

Melanozyten-Stammzellen
Unreife Melanozyten sind rundlich-kompakt (links). Haben sie dagegen begonnen, sich zu pigmentbildenden Melanozyten weiterzuentwickeln, bilden sie lange Zellfortsätze aus. <span

„Damit demonstrieren diese Stammzellen einen zuvor unbekannten Grad der Plastizität“, konstatiert das Forschungsteam. Erkennbar war diese reversible Wandlung der Melanozyten-Stammzellen auch an ihrer äußerlichen Form: Im unreifen, undifferenzierten Zustand sind diese Vorläuferzellen rundlich und kompakt. Haben sie jedoch ihre Entwicklung zu Pigmentzellen begonnen, entwickeln sie die für diese Zellen typischen länglichen Fortsätze. Bei der De-Differenzierung verlieren diese Zellen ihre Ausläufer und werden wieder rundlich-kompakt.

Die Beobachtungen ergaben, dass diese Rückverwandlung sogar dann noch stattfindet, wenn die halb ausdifferenzierten Proto-Melanozyten unter UV-Einfluss schon Pigment gebildet haben.

Blockierte Wanderung macht Haare grau

Das Entscheidende jedoch: Ob eine Melanozyten-Stammzelle dieses überraschende Pendelverhalten zeigt, hängt davon ab, wo sie sich befindet. Wie Sun und ihr Team herausfanden, findet der letzte, endgültige Schritt zur fertigen Pigmentzelle nur dann statt, wenn die halb ausdifferenzierte Stammzelle einem bestimmten Wachstumsfaktor ausgesetzt ist. Dieses WNT-Protein ist jedoch nur in der Haarbildungsregion der Haarwurzel aktiv. Fertige Melanozyten könne sich daher nur bilden, wenn die Stammzellen vom Haarfollikel in die produktive Region der Haarwurzel wandern.

Genau diese Wanderung könnte nach Ansicht der Forschenden das altersbedingte Ergrauen der Haare erklären. Denn wie sie beobachteten, verlieren die Melanozyten-Stammzellen mit dem Alter ihre Mobilität – immer häufiger stecken sie beim Übergang vom Follikel zur inneren Haarwurzel fest. Dadurch fehlt ihnen das WNT-Signal, das sie zu Pigmentzellen heranreifen lässt. „Dies legt nahe, dass die Mobilität der Melanozyten-Stammzellen und ihre reversible Differenzierung der Schlüssel zu gesundem, farbigem Haar sind“, sagt Seniorautor Mayumi Ito von der NYU Langone Health.

Möglicher Ansatz für vorbeugende Therapie

Diese Erkenntnisse könnten erklären, warum wir im Alter graue Haare bekommen. Gleichzeitig eröffnen sie auch neue Ansatzstellen für eine Therapie dagegen. „Die neuentdeckten Mechanismen wecken die Möglichkeit, dass das Problem auch bei uns Menschen im Steckenbleiben der Melanozyten-Stammzellen besteht“, sagt Sun. „Wenn wir diesen Zellen helfen, wieder in Bewegung zu kommen, könnte das das Ergrauen der Haare verhindern oder sogar rückgängig machen.“ (Nature, 2023; doi: 10.1038/s41586-023-05960-6)

Quelle: NYU Langone Health / NYU Grossman School of Medicine

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