Biometrie

Was das Gesicht nicht verrät

Algorithmen zur Emotions-Analyse greifen meist zu kurz

Wenn wir versuchen, die Mimik anderer Menschen zu interpretieren, liegen wir oft falsch. © Tomwang112 /iStock.com

Falsch interpretiert: Die Mimik eines Menschen ist offenbar kein so verlässlicher Gefühlsanzeiger wie landläufig gedacht. Denn Versuche, Emotionen allein anhand des Gesichtsausdrucks einer Person zur erkennen, schlagen fast immer fehl, wie Forscher festgestellt haben. Auch Algorithmen, mit denen einige Unternehmen bereits Bewerber und ihre Persönlichkeit bewerten, sind demnach ähnlich fehleranfällig – solange nicht noch andere Hinweise wie Gesichtsfarbe, Körperhaltung und Kontext berücksichtigt werden.

Im Kontakt mit anderen Menschen beobachten wir instinktiv ihre Mimik und Gesichtszüge und schließen daraus – teilweise unbewusst – auf Stimmung und Charakter unseres Gegenübers. So erkennen wir grundlegende Emotionen wie Trauer, Wut oder Freude und können sogar subtile Nuancen eines Lächelns unterscheiden. Gängiger Annahme nach sollen die Gesichtszüge sogar Eigenschaften wie Egoismus und Treue verraten und auch Krankheiten sollen wir darin erkennen können. Doch wie aussagekräftig dieser Face-ism wirklich ist, ist umstritten.

Jetzt legt eine Studie nahe, dass selbst vermeintlich eindeutige Emotionen weniger klar an der Mimik ablesbar sind als landläufig angenommen. Ein Forscherteam um Aleix Martinez von der Ohio State University hat dafür die bei Probanden die Kinetik der Muskelbewegungen im Gesicht vermessen. Mithilfe von Algorithmen untersuchten sie dann, ob diese mimischen Muster Rückschlüsse auf die Emotionen der Probanden erlaubten.

„Wir wollten wissen: Können wir wirklich Emotionen allein aus der Mimik erkennen?“, erklärt Martinez. „Und das einfache Fazit ist: Nein, wir können es nicht.“ Im Experiment schlugen die Versuche, Emotionen anhand des Gesichtsausdrucks der Probanden zu erkennen, fast immer fehl.“ Jeder Mensch macht unterschiedliche Gesichtsausdrücke, je nach Situation und kulturellem Hintergrund“, erklärt Martinez. „Nicht jeder, der lächelt, ist zwangsläufig auch glücklich. Und nicht jeder, der glücklich ist, lächelt.“

Unsichere Mimik-Technologie

Das Problem daran: Einige Unternehmen haben bereits begonnen, die Mimik und den Gesichtsausdruck von Menschen mittels spezieller Algorithmen zu interpretieren. Solche KI-Systeme werden dann beispielsweise eingesetzt, um Bewerber bei der Jobsuche zu beurteilen. Anhand von Videoaufnahmen ordnet das System der Person bestimmte Emotionen und Charakterzüge zu.

Martinez und sein Team sehen diese Entwicklung kritisch. Denn als sie einige dieser Technologien testeten, fanden sie die Ergebnisse weitestgehend unzureichend. Die Forscher heben hervor, wie wichtig es ist, sich bewusst zu machen, dass diese Technik nie 100 Prozent Genauigkeit erreichen wird.

Andere Hinweise wie Körperhaltung und Kontext entscheidend

Aus ihren Ergebnissen schlussfolgern Martinez und sein Team, dass es mehr als die Mimik braucht, um Emotionen richtig zu erkennen. Ein weiterer Hinweis kann zum Beispiel die Gesichtsfarbe sein. „Wir haben gezeigt, dass das Gehirn bei Emotionen Peptide freisetzt, die den Blutfluss und die Blutzusammensetzung verändern, und weil das Gesicht mit diesen Peptiden überflutet wird, ändert es die Farbe“, erklärt Martinez.

Menschen bieten laut Martinez aber auch noch andere Hinweise wie die Körperhaltung, auch der Kontext sei entscheidend. In einem Experiment zeigte er den Studienteilnehmern ein Bild, das so zugeschnitten war, dass nur das Gesicht eines Mannes zu sehen war. Der Mund des Mannes war zu einem Schrei geöffnet, sein Gesicht ist leuchtend rot. „Wenn die Leute den Bildausschnitt anschauen, denken sie, wow, dieser Kerl ist super verärgert, denn er ist wütend und schreit“, sagt Martinez.

„Aber als die Teilnehmer das ganze Bild sahen, sahen sie, dass es ein Fußballspieler war, der ein Tor feierte. In diesem Kontext ist klar, dass der Mann sich einfach freut. Aber isolieren sie sein Gesicht, und er scheint fast gefährlich“, erklärt Martinez den Versuch.

Diskriminierung durch Gesichter

Eine andere Gefahr liegt laut Martinez in der Möglichkeit, die wahren Emotionen einer Person zu übersehen und falsche Einschätzungen ihrer Fähigkeiten zu treffen. „Einige behaupten, sie könnten erkennen, ob jemand eines Verbrechens schuldig ist oder nicht, oder ob ein Schüler im Unterricht aufpasst, oder ob ein Kunde nach einem Kauf zufrieden ist“, erklärt Martinez. „Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass diese Behauptungen völliger Quatsch sind. Es gibt keine Möglichkeit, diese Dinge festzustellen.“

Als Beispiel führt er einen Lehrer an, der der Meinung ist, dass ein Schüler nicht aufpasst. Der Lehrer geht davon aus, dass die Schüler lächeln und nicken, wenn sie aufmerksam sind. Aber, so argumentiert Martinez, vielleicht hört der Schüler durchaus aufmerksam zu, lächelt aber aus anderen Gründen nicht. Wenn der Lehrer den Schüler deswegen bestrafen würde, wäre dies daher falsch.

Die Forscher betonen daher, dass Menschen – von Personalern über Professoren bis zu Strafrechtsexperten –mehr als nur den Gesichtsausdruck berücksichtigen sollten, wenn sie andere Personen beurteilen. (Annual Meeting of the American Association for the Advancement of Science, 2020)

Quelle: Ohio State University

 

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