Flugmanöver im Schlaf: Auch Vögel erleben beim Schlafen offenbar intensive Träume, wie eine Studie enthüllt. Demnach ist das Gehirn der Vögel im REM-Schlaf hochaktiv und rekapituliert wahrscheinlich typische Flugmanöver. Sogar Gefühle könnten die Tauben beim Träumen empfinden, zumindest legt das ihre Hirnaktivität nahe. Obwohl Vögel und Säugetiere durch 315 Millionen Jahre Evolution getrennt sind und sich auch ihre Gehirne stark unterscheiden, sind Vögel uns im Schlaf offenbar doch sehr ähnlich.
Wenn wir schlafen, tauchen wir in die Welt der Träume ein: In den Phasen unseres sogenannten REM-Schlafs ist unser Gehirn hochaktiv und rekapituliert viele Eindrücke des vergangenen Tages. Als Folge durchleben wir oft intensive, surreale oder auch ganz realistische Träume. Doch wie sieht es damit im Tierreich aus? Studien legen nahe, dass auch Menschenaffen, Katzen und andere Säugetiere eine REM-Schlafphase durchlaufen und dabei möglicherweise auch träumen.
Kann man ohne Großhirnrinde träumen?
Strittig war jedoch bisher, ob auch Vögel träumen können. Denn ihrem Gehirn fehlt die für Säugetiere typische Großhirnrinde, die als Sitz höherer Denkfunktionen gilt. Dafür ist die Neuronendichte im Vogelhirn deutlich höher als bei uns und „schlaue“ Vögel wie Krähen, Goffin-Papageien oder Keas demonstrieren immer wieder, dass auch Vögel fortgeschrittene kognitive Leistungen vollbringen können.
Bekannt ist zudem, dass auch Vögel wechselnde Phasen des Tiefschlafs und des REM-Schlafs zeigen. „Der letzte gemeinsame evolutionäre Vorfahre von Vögeln und Säugetieren lebte vor etwa 315 Millionen Jahren. Dennoch ähneln die Schlafmuster von Vögeln denen der Säugetiere auf erstaunliche Weise und zwar sowohl in den REM- als auch in den Non-REM-Phasen“, erklärt Koautor Onur Güntürkün von der Ruhr-Universität Bochum. Allerdings dauert jede REM-Phase beim Vogel nur wenige Sekunden, dafür durchlebt er hunderte davon pro Nacht.
Auffallende Aktivität im REM-Schlaf
Was aber bedeutet dies für die Traumfähigkeit von Papagei, Taube und Co? Das haben Erstautorin Gianina Ungurean vom Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz in Seewiesen und ihre Kollegen nun näher untersucht. Dafür beobachteten sie Pupillenbewegungen von 15 schlafenden Tauben und zeichneten parallel dazu ihre Hirnaktivität mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) auf. Die Vögel waren speziell darauf trainiert, unter diesen experimentellen Bedingungen zu schlafen.
Das Ergebnis: Auch Tauben zeigen während ihres REM-Schlafs Aktivierungsmuster, die auf Träume hindeuten. In diesen Phasen waren fast alle somatosensorischen Hirnareale hochaktiv. „Dazu gehörten vor allem Hirnbereiche, die für die Verarbeitung visueller Reize zuständig sind, darunter auch Areale, die analysieren, wie sich die Umgebung einer Taube während des Flugs bewegt“, berichtet Güntürküns Kollege Mehdi Behroozi. Ebenfalls auffallende Aktivität maßen die Forschenden in den Arealen, die Nervensignale aus dem Körper und von den Flügeln verarbeiten.
Träumen die Tauben vom Fliegen?
Nach Ansicht der Wissenschaftler legt dies nahe, dass auch Vögel echte Träume erleben. „Aufgrund dieser Beobachtungen vermuten wir, dass Vögel wie wir Menschen in REM-Phasen träumen, vielleicht sogar Flugsequenzen durchleben“, sagt Behroozi. Die Tauben könnten dabei sogar intensive Gefühle durchleben, wie die Hirnscans enthüllten. Denn während der aviären REM-Phasen wurde auch die Amygdala aktiviert, eine Gehirnstruktur, die bei emotionalen Prozessen eine wichtige Rolle spielt.
„Das deutet darauf hin, dass auch Vögel in ihren Träumen Gefühle empfinden, sofern sie etwas erleben, das unseren menschlichen Träumen ähnelt“, sagt Ungurean. Gestützt wird diese Annahme durch die Beobachtung, dass sich im REM-Schlaf die Pupillen der Vögel immer wieder schnell zusammenziehen – ähnliches kommt im Wachzustand zum Beispiel bei der Balz oder bei Aggression vor.
Das Team plant bereits weitere Tests, um mehr über die Träume ihrer Tauben zu erfahren. „Wir hoffen, die Vögel so trainieren zu können, dass sie uns vermitteln können, ob und was sie gerade gesehen haben, wenn sie aus dem REM-Schlaf erwachen“, sagt Ungurean. Das wäre ein wichtiger Schritt, um herauszufinden, ob und was Vögel träumen. (Nature Communications, 2023; doi: 10.1038/s41467-023-38669-1)
Quelle: Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz