Weltweites Artensterben hat größeres Ausmaß als gedacht

In Europa ist jede fünfte Tier- und Pflanzenart vom Aussterben bedroht

Collage verschiedener Pflanzen und Tiere, die für das Ökogleichgewicht wichtig sind
Collage verschiedener Pflanzen und Tiere, die für das Ökogleichgewicht wichtig sind. © yuelan / Getty Images

Verfeinerte Datengrundlage: Die Vielfalt der Lebewesen auf der Erde nimmt stärker ab als bislang angenommen, wie eine neue Analyse enthüllt. Demnach ist etwa ein Fünftel der untersuchten rund 15.000 Pflanzen- und Tierarten in Europa vom Aussterben bedroht. Hochgerechnet auf alle Regionen der Erde würde dies doppelt so vielen Arten entsprechen wie bisher geschätzt. Die größte Bedrohung für die Biodiversität stellt der Analyse zufolge die immer intensivere Landwirtschaft dar. Der Artenschwund hat auch Folgen für uns Menschen, warnen die Wissenschaftler.

Die Artenvielfalt nimmt weltweit seit Jahren ab. Trotz der Bemühungen einiger Regierungen und gemeinnütziger Organisationen, den Verlust der biologischen Vielfalt zu verringern, sind immer mehr Arten vom Aussterben bedroht. Damit der Artenschutz besser gelingt, sind mehr Informationen über die Bedrohungen für verschiedene Arten an verschiedenen Standorten nötig.

Daher hat ein Forschungsteam um Axel Hochkirch vom Nationalmuseum für Naturgeschichte Luxemburg nun die Lage aller 14.669 Tier- und Pflanzenarten in Europa analysiert, die bis Ende 2020 in sogenannten Roten Listen aufgeführt waren. Diese Listen der Internationalen Union zur Erhaltung der Natur (IUCN) geben den Bedrohungsstatus der aufgeführten Spezies an und gelten als die umfassendste Quelle zur Artenvielfalt und Gefährdungslage. Sie sind aber bei weitem noch nicht vollständig. Die von Hochkirch und seinen Kollegen untersuchten Arten entsprechen etwa zehn Prozent aller an Land und im Wasser lebenden Tiere und Pflanzen in Europa.

Ein Fünftel der Spezies vom Aussterben bedroht

Die Analyse der Forschenden ergab, dass etwa 19 Prozent aller untersuchten Arten vom Aussterben bedroht sind. Bei den Pflanzen sind es 27 Prozent der Arten, bei den Wirbellosen (zum Beispiel Insekten) 24 Prozent und bei den Wirbeltieren (Amphibien, Vögel, Fische, Säugetiere und Reptilien) 18 Prozent. Insgesamt sind demnach 2.839 der untersuchten Arten in Europa vom Aussterben bedroht. Hochgerechnet auf alle Arten weltweit sind es jedoch deutlich mehr, berichten die Wissenschaftler.

„Unsere Analyse legt nahe, dass zwei Millionen Pflanzen- und Tierarten vom Aussterben bedroht sind“, sagen die Autoren. Das sind doppelt so viele wie im jüngsten Bericht des IPBES aus dem Jahr 2019, wonach eine von insgesamt acht Millionen bekannten Arten weltweit vom Aussterben bedroht sind.

Insbesondere der Anteil der vom Aussterben bedrohten wirbellosen Tiere sei deutlich höher als bisher von dieser internationalen Organisation zur Biodiversität geschätzt, berichten Hochkirch und seine Kollegen. Seit der letzten Analyse des IPBES liegen neue Daten vor, die in ihre Studie eingeflossen sind und zu den neuen Erkenntnissen geführt haben.

Artensterben könnte anderswo noch dramatischer sein

„Die neue Studie zeigt erheblich schärfer und umfassender als zuvor, dass deutlich mehr Arten vom Aussterben bedroht sind“, sagt der nicht an der Studie beteiligte Biodiversitätsforscher Matthias Glaubrecht von der Universität Hamburg. Das mache mehr als deutlich, wie dringend ein verbesserter Artenschutz ist.

Zudem weist er darauf hin, dass aus Europa zwar lückenhafte, aber noch die besten Daten vorliegen. „Wenn sich hier die Situation schon derart dramatisch darstellt, bedeutet dies, dass sich die Biodiversitätskrise in anderen, weitaus artenreicheren Regionen sehr wahrscheinlich noch deutlich brisanter darstellt – insbesondere in den nach wie vor unzureichend erforschten Tropengebieten, etwa in Asien und Afrika“, sagt Glaubrecht.

Vor allem der Mensch bedroht andere Arten

Die Analyse von Hochkirch und seinen Kollegen bekräftigt, dass die europäische Biodiversität von Flora und Fauna vor allem durch Veränderungen in der landwirtschaftlichen Flächennutzung durch uns Menschen bedroht ist. Das Land werde intensiver und einseitiger bewirtschaftet, erklären die Wissenschaftler. Es werden beispielsweise größere Flächen mit weniger unterschiedlichen Arten bepflanzt, mehr Düngemittel und Pestizide sowie schwerere Maschinen eingesetzt und häufiger gemäht.

Durch diese Intensivierung der Landwirtschaft gehen Lebensräume für Tiere und Pflanzen verloren, werden biologische Ressourcen übermäßig genutzt und wird die Umwelt verschmutzt, berichten Hochkirch und seine Kollegen. Zugleich werden landwirtschaftlich genutzte Flächen vermehrt in Wohn- und Gewerbegebiete umgewandelt. Dies verstärkt die Versiegelung der Landschaft und nimmt noch mehr Arten ihren Lebensraum.

Mehr Bemühungen um Artenschutz nötig

Die Ergebnisse unterstreichen aber nicht nur das Ausmaß des menschengemachten Artenschwunds. Sie könnten auch genutzt werden, um zu messen, ob die Bemühungen zum Schutz der Artenvielfalt wirken und ausreichen. Die Forschenden fordern aber auch schon jetzt weitere Maßnahmen und stärkere Bemühungen. Denn die biologische Vielfalt sei auch im Interesse von uns Menschen, warnen Hochkirch und seine Kollegen: Die Biodiversität sei von entscheidend für die Ernährungssicherheit, die Schaffung von Wohlstand und das zukünftige Wohlergehen der Bevölkerung.

„Die Studie belegt, was auf dem Spiel steht – das Überleben vieler Arten, die auch wir zum Überleben brauchen“, sagt Glaubrecht. Ende 2022 wurden in der Abschlusserklärung der internationalen UN-Artenschutzkonferenz COP15 die Ziele formuliert, das vom Menschen verursachte Artensterben bis zum Jahr 2030 zu stoppen und bis 2050 die Aussterberate und das Risiko für alle Arten um das Zehnfache zu reduzieren. Bisher scheint dieses Ziel aber noch weit entfernt. (PLOS ONE, 2023; doi : 10.1371/journal.pone.0293083)

Quelle: PLOS ONE, Science Media Center

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