Bedrohte Meeressäuger: Die Populationen der Schweinswale in der deutschen Nordsee sind im Verlauf der letzten zwei Jahrzehnte stark zurückgegangen, wie eine aktuelle Studie zeigt. Vor allem vor Sylt, im wichtigsten Schutz- und Fortpflanzungsgebiet der Wale, sind die Bestände deutlich geschrumpft. Ursachen sind vermutlich zunehmende menschliche Aktivitäten, ein Mangel an Nahrung und die Abwanderung in andere Gebiete, so die Forscher.
Schweinswale sind die mit Abstand häufigsten Wale in der Nord- und Ostsee. Da sie sehr sensibel auf ökologische Veränderungen reagieren, gelten sie als Indikatortiere, die Aufschluss über den Zustand ihrer Umwelt geben. Gehen die Bestände zurück, ist das ein Warnzeichen für das gesamte Ökosystem. Bedroht ist die kleinste Walart vor allem durch menschliche Einflüsse, darunter Schifffahrt, Fischfang, Lärmbelastung und Umweltgifte.
Besorgniserregender Trend
Gemäß einer Studie von Forschern um Dominik Nachtsheim von der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover ist der Bestand an Schweinswalen in der deutschen Nordsee seit 2002 stark zurückgegangen. Während zwischen 2002 und 2006 zunächst ein leichter Anstieg der Populationszahlen zu verzeichnen war, hat sich die Anzahl der Tiere seit 2006 deutlich verringert. Im Mittel ist die Zahl der Tiere seit 2002 pro Jahr um 1,79 Prozent gesunken.
„Der Trend, den man hier sieht, ist besorgniserregend“, sagt Nachtsheims Kollegin Anita Gilles. Sie und ihr Team betrachten diesen Rückgang der Meeressäuger auch deshalb mit Sorge, weil Schweinswale als marine Entsprechung zum Kanarienvogel im Bergwerk gelten: Die schwindenden Bestände der Schweinswale können ein Hinweis auf den sich allgemein verschlechternden Zustand des gesamten Ökosystems sein.
Rückgang im wichtigsten Schutzgebiet
Besonders stark verringerte sich die Populationsdichte der Schweinswale ausgerechnet in ihrem wichtigsten Schutzgebiet, dem Außenriff vor Sylt. Dort lebt der größte Teil der in der deutschen Nordsee heimischen Schweinwale, zudem gilt diese Region als wichtigstes Kalbungsgebiet der Meeressäuger. Doch wie Nachtsheim und sein Team ermittelten, ging die Zahl der Schweinswale vor Sylt um durchschnittlich 3,79 Prozent pro Jahr zurück.
Eine positive Entwicklung zeigte sich dagegen in der Region um Borkum. In diesem Schutzgebiet verzeichneten die Forscher im Untersuchungszeitraum einen Anstieg der Bestandszahlen. Nach Ansicht der Wissenschaftler könnten diese gegenläufigen Trends darauf hindeuten, dass sich die Verteilung der Schweinswale verschiebt. Die Gründe dafür sind allerdings bislang unklar.
Daten für den Schutz der Wale
Um die Bestandszahlen der Schweinswale möglichst genau abschätzen zu können, wurden die Tiere in klar unterteilten Gebieten von Flugzeugen aus beobachtet und gezählt. Mit Hilfe statistischer Methoden verfeinerten die Forscher das Ergebnis, um beispielsweise auch tauchende Tiere einzubeziehen. „Die Größe einer Population zu kennen, ist das Herzstück der Ökologie, aber für mobile Arten in einer sich schnell verändernden Meeresumwelt wie der Nordsee ist dies extrem herausfordernd“, erklärt Gilles.
Die über fast zwei Jahrzehnte gesammelten Daten liefern eine wichtige Grundlage, um sich zukünftig stärker um den Schutz der Schweinswale in der Nordsee zu bemühen. „Populationsgröße, Verteilung und Trends sind entscheidende Parameter für die EU und gesetzgebende Institutionen sowie für die Ausgestaltung des Meeresschutzes im Allgemeinen“, sagt Gilles.
Ursachenforschung erforderlich
Da sich die aktuelle Studie auf die Entwicklung der Bestandszahlen konzentrierte, können die Forscher über die zugrundeliegenden Ursachen nur auf Basis früherer Erkenntnisse spekulieren. Eine Rolle spielen demnach wahrscheinlich der starke Schiffsverkehr in der Nordsee, Überfischung, Umweltverschmutzung sowie Lärmbelästigung, etwa durch Offshore-Windparks und Ölbohrinseln. „Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus verschiedenen Ursachen und kumulativen Effekten“, sagt Gilles.
Um die Schweinswale in Zukunft gezielter und effektiver schützen zu können, seien dringend weitere Forschungen erforderlich. „Wenn die Trends durch menschliche Stressoren verursacht wurden, sollten diese schnellstmöglich identifiziert werden und geeignete Gegenmaßnahmen entwickelt und durchgeführt werden“, so die Forscher. (Frontiers in Marine Science, 2021; doi: 10.3389/fmars.2020.606609)
Quelle: Frontiers