Göttinger Hirnforscher haben im Tiermodell die Auswirkungen von Mutationen untersucht, die beim Menschen zu Autismus führen. Dabei handelt es sich um Mutationen in jenen Genen, die die Bauanleitung für Proteine aus der Familie der Neuroligine tragen. Die jetzt in der Fachzeitschrift Neuron veröffentlichte Studie zeigt, dass Neuroligine für eine funktionierende Signalübertragung zwischen Nervenzellen sorgen. Im Gehirn genetisch veränderter Mäuse ohne Neuroligine ist die Reifung der Kontaktstellen für die Kommunikation zwischen den Nervenzellen, der so genannten Synapsen, gestört. Die Forscher gehen davon aus, dass ähnliche Fehlfunktionen auch bei autistischen Patienten vorliegen.
Autismus gehört zu den häufigsten psychiatrischen Erkrankungen. Etwa 0.5 Prozent aller Kleinkinder leiden an einem Krankheitsbild aus dem so genannten "autistischen Spektrum". Hauptsymptome dieser Entwicklungsstörung sind eine verzögerte oder völlig ausbleibende Sprachentwicklung, ein gestörtes Sozialverhalten und sich wiederholende Verhaltensmuster. Bei vielen Patienten ist die Krankheit zusätzlich von einer geistigen Behinderung begleitet.
Heute ist klar, dass hauptsächlich genetische Faktoren zum Ausbruch der Krankheit führen. 2003 konnte der französische Genetiker Thomas Bourgeron bei einer Untersuchung von Familien mit jeweils mehreren autistischen Kindern zeigen, dass Mutationen in den zwei Genen NLGN3 und NLGN4X zu einem kompletten Funktionsverlust der Gene führen und bei den betroffenen Patienten Autismus auslösen. Die Arbeiten von Bourgeron sandten eine Schockwelle durch die neurowissenschaftlichen Institute weltweit, denn die NLGN-Gene waren keine Unbekannten. Sie sind für die Erzeugung zweier Proteine verantwortlich, die Neuroligin-3 und Neuroligin-4 heißen und denen eine wichtige Rolle beim Aufbau von Nervenzellkontakten zugeschrieben wird.
Signalübertragung gestört?
Nervenzellen kommunizieren miteinander an spezialisierten Kontaktstellen, den Synapsen. Dabei schüttet eine sendende Nervenzelle, wenn sie erregt wird, Botenstoffe aus (Neurotransmitter). Diese Signalmoleküle gelangen zur jeweiligen Empfängerzelle und beeinflussen deren Aktivitätszustand – vorausgesetzt die Empfängerzelle besitzt "Empfangsantennen" an ihren Synapsen, so genannte Rezeptoren, die die chemischen Signalstoffe binden. Dieser Prozess könnte – so die Spekulation der Wissenschaftler – gestört sein, wenn Nervenzellen keine Neuroligine besitzen.