Weitreichende Folgen: Angesichts des teilweise dramatischen Rückgangs von Bestäuberinsekten haben Forscher erstmals global ermittelt, wie viele Pflanzen auf tierische Bestäuber angewiesen sind und in welchem Maße. Das Ergebnis: 175.000 Arten – knapp die Hälfte aller Blütenpflanzen – würden ohne Bestäuber 80 Prozent ihrer Samenproduktion einbüßen. Ein Drittel aller Pflanzen kann sich gar nicht ohne tierische Helfer vermehren, darunter besonders viele Bäume und Tropenpflanzen.
Ob Obstbäume, Erdbeeren, Tomaten oder der Kaffeebaum: Ein Großteil der Pflanzen weltweit ist für seine Bestäubung mehr oder weniger stark von tierischen Helfern abhängig. Vor allem Insekten helfen dabei, den Pollen von Blüte zu Blüte zu bringen, allerdings sind gerade sie vielerorts von einem drastischen Rückgang betroffen. In manchen Regionen ist der Schwund von Bestäuberinsekten schon so groß, dass Obstbäume per Hand oder mit anderen Hilfsmitteln bestäubt werden müssen.
Kann Auto-Fertilisation die Lage retten?
Umso erstaunlicher ist es, dass bisher niemand genau wusste, in welchem Maße die rund 350.000 Blütenpflanzen weltweit von tierischen Bestäubern abhängig sind. „Man schätzt zwar, dass 82 Prozent der Arten durch Insekten und sechs Prozent von Wirbeltieren betäubt werden“, erklären James Rodger von der Stellenbosch University in Südafrika und seine Kollegen. Aber viele Blütenpflanzen haben zusätzlich die Fähigkeit zur Auto-Fertilisation – sie können im Notfall auch ohne Bestäubung Samen produzieren.
Wie gravierend sich daher ein Verlust der Bestäuber tatsächlich auswirken würde, war bisher auf globaler Ebene ungeklärt. Um dies zu ändern, haben Rodger und sein Team Informationen zu 1.174 repräsentativen Pflanzenarten aus 143 Familien von allen Kontinenten zusammengetragen. Die aus vier Jahrzehnten stammenden Daten beruhen auf Bestäubungsexperimenten, in denen Wissenschaftler jeweils verglichen hatten, wie viele Samen die Pflanzen mit oder ohne tierische Bestäuber produzieren.
Anhand dieser Werte ermittelte das Team auch für andere, eng verwandte Arten und Pflanzengruppen die wahrscheinliche Produktivität mit und ohne Tier-Bestäubung.
Massive Folgen für die Hälfte aller Blütenpflanzen
Das Ergebnis: Rund die Hälfte aller Blütenpflanzen – rund 175.000 Arten – sind zu 80 Prozent auf tierische Bestäuber angewiesen. Fehlen sie, können diese Pflanzen maximal noch 20 Prozent der normalerweise erzeugten Samen und Früchte produzieren. Auch wenn die Fähigkeit zur Auto-Fertilisation verbreitet ist, reicht sie demnach nicht ansatzweise aus, um einen Verlust von Bestäubern auszugleichen, wie Rodger und seine Kollegen erklären.
Für ein Drittel aller Blütenpflanzen sieht es noch schlechter aus: Sie sind sogar vollständig von tierischen Helfern abhängig. Zu diesen Pflanzengruppen gehören vor allem viele Bäume, aber auch die stark von Inzucht geprägten Nutzpflanzen. Besonders stark vertreten sind solche Bestäuber- abhängigen Arten in den Tropen und damit in einigen der bisher artenreichsten Regionen der Erde.
„Die Tatsache, dass eine so große Zahl von Pflanzenspezies auf Bestäuber angewiesen ist, könnte bei weiterem Rückgang der Bestäuber zu schweren Störungen solcher Ökosysteme führen „, warnt Rodger.
Vorteil für invasive Arten
Aber auch bei uns könnte der Rückgang der Bestäuber Folgen haben, die weit über Ernterückgänge von Nutzpflanzen hinausgehen. Denn zu den von dieser Entwicklung nicht betroffenen Spezies gehören viele invasive Arten und andere als problematisch geltende Kräuter. „Die meisten einheimischen Arten hängen in größerem Maße von Bestäubern ab als neu eingeführte oder invasive Arten“, erklären die Wissenschaftler. „Sie könnten daher vom Bestäubermangel weit stärker betroffen sein.“
Hinzu kommt, dass die verstärkte Ausbreitung von windbestäubten oder selbstbefruchtenden Pflanzen einen Teufelskreis in Gang setzen könnte: Weil diese Spezies weniger Nektar produzieren, fehlt es den wenigen verbliebenen Bestäuber-Insekten an Nahrung. Als Folge schwinden ihre Bestände noch mehr und tierbestäubte Pflanzen haben eine noch geringere Chance, sich zu vermehren.
Folgen für die gesamte Biodiversität
Auf lange Sicht könnte dieser Teufelskreis die gesamte Pflanzenwelt umgestalten und die Artenvielfalt erheblich schmälern. „Bestäuber sind daher nicht nur wichtig für unsere Nahrungsproduktion, sondern auch für die Biodiversität“, betont Koautor Mark van Kleunen von der Universität Konstanz. „Wenn es weniger Bestäuber gibt oder sich auch nur die Artenverteilung bei ihnen verschiebt, betrifft dies Pflanzen, Tiere und letztlich auch den Menschen.“ (Science Advances, 2021; doi: 10.1126/sciadv.abd3524)
Quelle: Stellenbosch University