Reaktion aufs Mundgefühl: Ob wir trinken müssen oder nicht, erkennt unser Gehirn überraschend schnell. Denn es misst dafür nicht nur die Stoffkonzentration im Blut, sondern wertet auch Signale aus dem Mund aus. Das haben Forscher nun mithilfe von Experimenten an Mäusen herausgefunden. Ihre Erkenntnis erklärt, warum ein kaltes Getränk unseren Durst oft schon löscht, noch bevor wir es ganz ausgetrunken haben.
Damit die Zellen in unserem Körper ihre Aufgaben erfüllen können, benötigen sie die richtige Menge an Wasser mitsamt der darin gelösten Stoffe. Droht der Flüssigkeitsgehalt aus dem Gleichgewicht zu geraten, erhalten wir deshalb ein unmissverständliches Signal: Durst. Dieses Gefühl motiviert uns zu trinken – und stellt auf diese Weise sicher, dass der Organismus funktionsfähig bleibt.
Das Trinkbedürfnis ist eine Reaktion des Durstzentrums in unserem Gehirn. Sensoren melden diesem Areal unentwegt den „Wasserstand“, indem sie das Blut überprüfen. Sind bestimmte Stoffe darin zu konzentriert und ist das Blut sozusagen zu dick, initiiert das Gehirn einen Prozess, der uns durstig werden lässt. Manchmal scheint es dabei jedoch auf Veränderungen zu reagieren, bevor sie überhaupt entstehen. So löscht ein kaltes Getränk im Mund bereits den Durst, bevor die Flüssigkeit den Kreislauf erreicht. Wie diese Reaktion zustande kommt, war Wissenschaftlern bisher ein Rätsel.
Durstige Mäuse
Forschern um Christopher Zimmermann von der University of California in San Francisco ist es nun jedoch gelungen, das Geheimnis zu lüften. Um den Mechanismen hinter der Durstregulation auf die Schliche zu kommen, widmete sich das Team dem Subfornikalorgan im Gehirn von Mäusen. Diese Struktur ist bei den Nagern wie beim Menschen für die Steuerung des Wasser- und Salzhaushalts zuständig – und in ihm sitzen die Neuronen, die das Blut überwachen.
Die Wissenschaftler beobachteten die Aktivität dieser Nervenzellen an ihren tierischen Probanden in unterschiedlichen Situationen. Injizierten sie den Mäusen zum Beispiel eine salzreiche Lösung, feuerte wie erwartet diese Gruppe von Neuronen als Reaktion auf die veränderte Stoffkonzentration im Blut.
Auch nach einem nächtlichen Wasserentzug waren diese Nervenzellen aktiv und signalisierten Durst. Das Erstaunliche dabei: Schon mit dem ersten Tropfen, den die Tiere danach aufleckten, wurden die Neuronen deaktiviert – obwohl das Wasser noch gar nicht ins Blut gelangt war. Die Nervenzellen mussten demnach noch auf etwas Anderes reagieren, als auf Veränderungen im Blut.
Signale aus der Mundhöhle
Um herauszufinden, woher die Neuronen ihre Informationen beziehen, führten Zimmermann und seine Kollegen verschiedene Experimente durch. So zeigten sie den durstigen Mäusen etwa Wasser: Doch allein die Erwartung, gleich etwas zu Trinken zu erhalten, konnte die Nervenzellen offenbar nicht deaktivieren – ebensowenig wie die typische Leckbewegung beim Trinken ohne tatsächliche Wasserzufuhr.
Für das Team war das ein Zeichen dafür, dass die Signale durch das Gefühl von Flüssigkeit auf der Zunge oder im Mund selbst herrühren mussten. Sie konnten schließlich mithilfe weiterer Versuche zeigen: Die Neuronen reagieren auf eine Vielzahl von Informationen, die ihnen aus dem Mund- und Rachenraum zugespielt werden. Sie ändern ihre Aktivität nicht nur, wenn Flüssigkeit den Mund benetzt, sondern registrieren auch die Tonizität des zugeführten Getränks sowie seine Temperatur. Außerdem merken die Nervenzellen auch, wenn gegessen wird und geben prompt das Signal zum Trinken.
Dynamischer Steuerungsmechanismus
Anhand dieser Ergebnisse lassen sich Erkenntnisse aus dem täglichen Leben nun auf neuronaler Ebene erklären – zum Beispiel, warum wir häufig während des Essens trinken, warum der Durst bereits nach wenigen Schlucken nachlässt und warum kalte Getränke unser Trinkbedürfnis schneller stillen als warme.
„Unsere Forschung zeigt, dass die Neuronen im Subfornikalorgan nicht nur Blutsensoren sind, sondern eine zweite Klasse von Signalen empfangen, die sie befähigen, das menschliche Verhalten schnell und dynamisch zu regulieren“, schreiben die Forscher. Dank dieser Konvergenz könne das Gehirn die aktuellen Bedürfnisse des Körpers mit den zu erwartenden Effekten durch gerade stattfindende Wasser- und Nahrungsaufnahme vergleichen – und das Trinkverhalten vorsorglich anpassen. (Nature, 2016; doi: 10.1038/nature18950)
(Nature, 04.08.2016 – DAL)