Der Mensch und die meisten Landwirbeltiere besitzen normalerweise fünf Zehen oder Finger. Ein zusätzlicher Finger ist selten. Beim Maulwurf dagegen ist der Verstoß gegen das Fünf-Finger-Schema die Norm. Jetzt haben Forscher herausgefunden, wie genau der Zusatzdaumen des Maulwurfs entsteht. Er entspringt unter dem Handwurzelknochen und ragt sichelförmig nach vorne. Wahrscheinlich spielt das Hormon Testosteron für seine Bildung eine wihtige Rolle.
Was im Tierreich Hände hat, verfügt meist über zehn Finger. Eine der großen Ausnahmen ist der kleine Maulwurf: Er hat einen zusätzlichen „Daumen“, auf den er sich beim Graben abstützt und der seine Grabschaufeln vergrößert. Vielfingrigkeit – Polydaktylie – ist ein Phänomen, das sich bereits vor Millionen von Jahren an verschiedenen Landwirbeltieren beobachten lässt. Sie tritt auch beim Menschen und bei Hunden und Katzen relativ häufig auf – statt jeweils fünf Zehen oder Fingern besitzen diese Menschen dann sechs.
Nach Ansicht vieler Forscher scheinen Landwirbeltiere ein schlummerndes Entwicklungsprogramm für Polydaktylie aufzuweisen, das aber nur unter gewissen Voraussetzungen aktiviert wird. Beim Maulwurf dagegen ist Polydaktylie die Norm, so dass bei ihm in der Embryogenese das Programm durchgängig aktiviert wird. Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Marcelo Sánchez- Villagra, Professor für Paläontologie an der Universität Zürich, hat die Entstehung und Entwicklung des Extra-Daumens beim Maulwurf molekulargenetisch untersucht.
Zusatzdaumen entsteht anders
Wie die Wissenschaftler herausfanden, entsteht der Zusatzdaumen während der Embryogenese anders und auch später als die echten Finger. Im Gegensatz zu den restlichen Fingern der Maulwurfshand verfügt der Extra-Daumen nicht über verschiedene bewegliche Glieder. Er besteht vielmehr aus einem einzelnen, sichelförmig Knochen. Mit Hilfe von molekularen Markern können die Forscher erstmals zeigen, dass er später als die echten Finger aus einem umgeformten Sesambein des Handgelenks entsteht. Auch der echte Daumen teilt genetische Merkmale mit dem Handgelenk. Der Vergleich mit Spitzmäusen, die nächsten Verwandten von Maulwürfen, bei denen der Extra-„Daumen“ fehlt, bestätigt die Entdeckung der Forscher.
Männliche Hormone gekoppelt mit Polydaktylie
Für die artspezifische Ausbildung des Extra-Daumens beim Maulwurf sehen die Forscher einen Zusammenhang mit dem eigentümlich „männlichen“ Geschlechtsapparat von Maulwurfweibchen. Bei vielen Maulwurfarten haben die Weibchen vermännlichte Genitalien und sogenannte Ovotestes, d.h.
anstelle von normalen Eierstöcken Keimdrüsen mit Hoden- und Eierstockgewebe. Androgene Steroide
sind bekannt dafür, dass sie Knochenwachstum, -umbildung und -veränderungen sowie den Wandel von Sehnen in Gelenke beeinflussen. Ein hoher mütterlicher Testosteronspiegel wird denn auch als eine der Ursachen für Polydaktylie beim Menschen vermutet. (The Royal Society Biology Letters, 2011; DOI: 10.1098/rsbl.2011.0494)
(Universität Zürich, 18.07.2011 – NPO)