Botanik

Wie die Artenvielfalt der Pflanzen entstand

Umfangreiche Genanalysen geben neue Einblicke in die Pflanzenevolution

Pflanzen
Pflanzen haben im Laufe ihrer Evolution einen enormen Artenreichtum hervorgebracht. © Michael Melkonian/ Walter S. Judd

Blick in den Stammbaum: Forscher haben in einem beispiellosen Projekt die aktiven Gene von über 1.000 Pflanzenspezies analysiert. Ihre Daten liefern spannende Erkenntnisse über die Evolution dieser für unseren Planeten so wichtigen Organismen. Unter anderem zeigen sie, wie die Vervielfältigung von Genen die Entwicklung neuer Arten vorantrieb. Die Ergebnisse könnten nun auch neue Impulse für die Landwirtschaft und Medizin geben.

Die Erde ist nicht nur ein blauer, sondern auch ein grüner Planet: Seitdem sich urzeitliche Grünalgen vor rund einer Milliarde Jahren in zwei unterschiedliche Abstammungslinien aufspalteten, hat die Pflanzenwelt eine enorme Diversifizierung erfahren. „Aus einer dieser Linien entwickelten sich später Blütenpflanzen, Landpflanzen und verwandte Algengruppen, die andere umfasst eine Reihe von Grünalgen“, erklärt James Leebens-Mack von der University of Georgia.

Im Laufe ihrer Evolution haben sich die Photosynthese betreibenden Organismen fast alle Ökosysteme der Erde erobert – heute existieren zwischen 450.000 und 500.000 Arten, die wichtige Funktionen in den Lebensräumen an Land und im Wasser übernehmen. Doch wie kam diese erstaunliche Artenvielfalt zustande?

Zeitreise in die Vergangenheit

Ein internationales Forscherteam wollte mehr über die genetischen Grundlagen der Pflanzenevolution herausfinden und hat ein wahres Mammutprojekt gestartet: die „One Thousand Plant Transcriptome Initiative“. Die Wissenschaftler analysierten die Genexpression von 1.147 Landpflanzen- und Algenspezies – darunter Grünalgen, Moose, Bärlappgewächse, Farne, Nacktsamer und Blütenpflanzen.

„Manche dieser Arten sind vor mehreren hundert Millionen Jahren entstanden. Doch erst heute haben wir die Werkzeuge, um zurückzuschauen und zu sehen, was damals passiert ist“, sagt Mitautor Marcel Quint von der Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg. Ihre Analyse von Genen und Genfamilien zeigt so detailliert wie niemals zuvor, wie der Stammbaum der Pflanzen aussieht und welche genetischen Veränderungen seiner Aufzweigung zugrunde lagen.

Genvervielfältigungen als Schlüssel

Die Ergebnisse offenbarten unter anderem, wann bestimmte Pflanzenlinien ihr Genom verdoppelten oder sich einzelne Genfamilien vervielfältigten. Solche Prozesse gelten als ein wesentlicher Treiber evolutionärer Innovationen im Pflanzenreich. „Denn steht signifikant mehr genetisches Material zur Verfügung, gibt es mehr Kapazitäten, um neue Eigenschaften zu entwickeln“, erklärt Quint. Verfügt eine Pflanze etwa über zwei Kopien eines Gens, kann eine Kopie allmählich eine neue Funktion übernehmen. Dies erleichtert die Anpassung an neue Umweltbedingungen und Lebensräume.

„Bisher dachten wir, dass die größte genetische Expansion beim Übergang zu den Blütenpflanzen stattfand. Schließlich macht diese Gruppe einen Großteil der heute lebenden Spezies aus“, berichtet Quints Kollege Martin Porsch. Doch die Daten enthüllten: Diese Expansion passierte bereits viel früher – und zwar an einem entscheidenden Punkt in der Pflanzenevolution.

Übergang vom Wasser aufs Land

So fanden die Forscher heraus, dass ein enormer Sprung in der Genvielfalt zum Beispiel kurz vor der Entstehung der ersten Gefäßpflanzen stattfand – Landpflanzen mit spezialisierten Leitbündeln für den Transport von Wasser und Nährstoffen. „Der Übergang vom Wasser aufs Land war eine der größten Herausforderungen für die Pflanzen“, berichtet Porsch. „Wir haben einen enormen Anstieg der genetischen Vielfalt zur Zeit dieses Übergangs festgestellt. Danach erreichte sie bald ein Plateau.“

Die Wissenschaftler wiesen zudem nach, dass sich bestimmte Genfamilien wie die für die Blütenentwicklung verantwortlichen MADS-Box-Gene im Laufe der Evolution mehrmals unabhängig voneinander vervielfältigt haben. Demnach haben sich diese Gene etwa in Farnen und Samenpflanzen jeweils separat vervielfältigt und weiterentwickelt. „Wir lernen daraus, dass die Evolution nicht unbedingt eindimensional linear verläuft, sondern dass gleiche Entwicklungsstufen manchmal auf unterschiedlichen Wegen erreicht werden“, konstatiert Mitautor Günter Theißen von der Universität Jena.

Neuer Blick auf die Moos-Familie

Ein weiterer interessanter Befund: Die Daten bestätigen, dass alle heute lebenden Moose – Laubmoose, Lebermoose und Hornmoose – eine einzige Verwandtschaftsgruppe bilden und enger miteinander verwandt sind als mit jeder anderen Pflanzengruppe. Damit klärt die Analyse eine der bisher umstrittensten Fragen rund um die Evolution der Landpflanzen.

Und sie zeigt, dass Evolution nicht zwangsläufig immer komplexere Lebensformen hervorbringt. So verdanken die im Vergleich zu den Laubmoosen sehr urtümlich erscheinenden Lebermoose ihr Aussehen vermutlich nachträglichen Vereinfachungen ihrer Gestalt. „Manchmal ist offenbar Reduktion ein evolutionärer Vorteil“, sagt Theißen.

Potenzial für die Medizin?

Die neuen Daten erlauben jedoch nicht nur ein besseres Verständnis der Pflanzenevolution und der Verwandtschaft unterschiedlicher Pflanzengruppen. Nach Ansicht des Teams bergen sie auch Potenzial für Fortschritte in Landwirtschaft und Medizin. Denn mit der Identifizierung im Laufe der Zeit vervielfältigter Gene kann die Funktion dieser DNA-Abschnitte genauer verstanden werden – und das wiederum ebnet möglicherweise den Weg für die Zucht besserer Nutzpflanzen.

Zudem könnten sich in dem Datensatz Ausgangsstoffe für potenzielle Heilmittel verbergen: „Wir hoffen, dass Mediziner in unserem genetischen Material Hinweise auf neue interessante Verbindungen finden“, sagt Douglas Soltis vom Florida Museum of Natural History. (Nature, 2019; doi: 10.1038/s41586-019-1693-2)

Quelle: Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg/ Florida Museum of Natural History/ University of Augusta/ Friedrich-Schiller-Universität Jena

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