Blinde Passagiere: Die Hausmaus hat Europa später und auf anderen Wegen erobert als gedacht, wie eine Studie enthüllt. Demnach kamen die Mäuse erst in der Kupfer- und Bronzezeit auf unseren Kontinent – überraschend lange nach Einführung der Landwirtschaft. Eine Unterart wanderte vor rund 6.500 Jahren aus der eurasischen Steppe ein, die zweite kam mit bronzezeitlichen Seefahrern über das Mittelmeer, wie die Forscher im Fachmagazin „Scientific Reports“ berichten.
Die Hausmaus (Mus musculus) ist einer der erfolgreichsten Eroberer im Tierreich. Denn sie hat es geschafft, sich von ihrer ursprünglichen Heimat auf dem Indischen Subkontinent und den im Norden angrenzenden Regionen über fast die gesamte Erde auszubreiten. Helfershelfer bei dieser globalen Ausbreitung war dabei der Mensch. Denn erst die Vergesellschaftung mit uns und unseren Vorräten machte die Hausmaus weitgehend unabhängig von Klima und natürlicher Umgebung.
Doch wann begann der Siegeszug der Hausmäuse? Und auf welchen Wegen erreichten sie schließlich auch Europa? Das haben nun Forscher um Thomas Cucchi vom Museum für Naturgeschichte in Paris rekonstruiert. Für ihre Studie haben sie die Überreste von 829 Mäusen aus 43 archäologischen Fundstätten in Asien und Europa anatomisch und genetisch untersucht. Die zeitliche Spanne reichte von der Altsteinzeit vor rund 40.000 Jahren bis zur Bronzezeit vor rund 3.000 Jahren.
Ausbreitung schon vor der Landwirtschaft
Das Ergebnis: Die frühesten Spuren von Hausmäusen außerhalb ihrer Ursprungsheimat stammen aus der Levante. Dort lebte die Unterart Mus musculus domesticus schon vor 14.500 Jahren eng mit dem Menschen zusammen, wie die Forscher berichten. Entgegen den Erwartungen etablierten sich diese Mäuse demnach nicht mit den ersten Bauern, sondern besiedelten schon die Dörfer der Natufien-Kultur – einem sesshaften Volk von Jägern und Sammlern.
Während der folgenden Jahrtausende breiteten sich diese Hausmäuse dann von der Levante aus bis nach Kleinasien, Mesopotamien und den Kaukasus aus. So lebten beispielsweise schon vor rund 9.000 Jahren auch Hausmäuse in der anatolischen Großsiedlung Catalhöyük.
Europa blieb Hausmaus-frei – zunächst
Das Überraschende jedoch: Obwohl die Hausmäuse in der Jungsteinzeit von der Ausbreitung der Landwirtschaft profitierten, blieb Europa zunächst Hausmaus-frei. Denn als die ersten Bauern vor rund 9.000 Jahren aus der Levante und Kleinasien nach Europa einwanderten, reisten offenbar noch keine Mäuse mit. „Alle Mäuse aus dem neolithischen Griechenland, die wir untersucht haben, waren Wildmäuse der Art Mus macedonicus“, berichten Cucchi und sein Team.
Auch von den anderen europäischen Mittelmeerregionen gab es keine Hinweise auf Hausmäuse schon zur Jungsteinzeit. Mit einer Ausnahme: Zypern. Denn neben der dort heimischen Wildmaus Mus cypriacus lebten dort vor 12.000 Jahren auch schon Hausmäuse der domesticus-Unterart. „Dies könnte der früheste Nachweis eines Mäusetransports als blinder Passagier sein“, sagen die Forscher. Denn diese Hausmäuse müssen per Schiff aus der Levante nach Zypern gelangt sein. Einmal dort angekommen, blieben sie aber auf der Insel – den Sprung aufs Festland schafften sie nicht.
Die „Ostmaus“ kam als erste
Die Eroberung Europas begann erst Jahrtausende später – und durch eine andere Unterart als gedacht. „Wir hätten erwartet, dass Mus musculus domesticus als erste den europäischen Kontinent erobern würde“, erklären Cucchi und sein Team. Denn die Levante war in der gesamten Jungsteinzeit und Bronzezeit über Handelswege eng mit Europa verbunden.
Doch stattdessen kam zuerst ein anderer Maus-Einwanderer: Mus musculus musculus. Diese Hausmaus-Unterart kam nicht aus dem Nahen Osten, sondern über die eurasische Steppe in den Mittelmeerraum. Mit westwärts ziehenden Nomaden mitreisend schaffte sie vor rund 6.500 Jahren den Sprung auf den Balkan. „Ihr Vorkommen ist unter anderem aus Siedlungsresten im Südosten Rumäniens und Serbiens dokumentiert“, so die Forscher.
Bis heute ist diese Hausmaus-Unterart vor allem im östlichen Europa verbreitet. Die Trennlinie zum Gebiet der westlichen Unterart domesticus läuft dabei mitten durch Deutschland. Sie erstreckt sich von der Ostseeküste über Brandenburg bis nach Ostbayern.
Die „Westmaus“ kam mit den Bronzezeit-Seefahrern
Erst mit einer zweiten Welle der Mäuse-Einwanderung kam dann auch die westliche Unterart Mus musculus domesticus nach Europa. Sie ist ab der Zeit vor rund 4.000 Jahren auf Kreta und Santorini nachweisbar und taucht im Verlauf der Bronzezeit in vielen weiteren griechischen Fundstätten auf. „Diese Verteilung deutet darauf hin, dass die invasive Ausbreitung von domesticus vorwiegend durch die bronzezeitlichen Netzwerke des Seehandels geschah“, sagen Cucchi und sein Team.
Die Schiffe der Minoer und Mykener brachten diese blinden Passagiere zunächst von der Levante an die europäische Mittelmeerküste. Von dort aus breitet sich die westliche Hausmaus dann über den Westen Europas aus und gelangte in der Antike per Schiff auch auf die Britischen Inseln. Mit der Eroberung der Neuen Welt durch die Spanier und Portugiesen schaffte die „Westmaus“ dann den Sprung über den Atlantik. Mit den Engländern kam sie bis nach Australien – der globale Siegeszug der Hausmäuse war damit vollbracht. (Scientific Reports, 2020; doi: 10.1038/s41598-020-64939-9)
Quelle: CNRS