Evolution

Wie die Pferde ihre Zehen verloren

Reduktion der Seitenzehen ging erst nach Umbau der Knochenstruktur in der Mittelzehe

Frühes Urpferd im Vergleich zu heutigem Pferd: Nicht nur die Größe hat sich drastisch geändert, auch die Zahl der Zehen im Pferdefuß. © Dellex/CC-by-sa 3.0

Pferde sind ein echter Sonderfall der Evolution: Sie sind die einzigen lebenden Tiere mit nur einem Zeh im Fuß. Wie und warum die Urpferde ihre anderen Zehen verloren, haben nun Forscher rekonstruiert. Demnach konnte die Urpferde erst auf ihre Seitenzehen verzichte, nachdem sich die Knochenstruktur der Mittelzehe verändert hatte. Erst dann wurde sie stabil genug, um die Last des Pferdekörpers auch allein zu tragen.

Die Evolutionsgeschichte der Urpferde lernt heute jedes Kind: Noch vor gut 50 Millionen Jahren waren die Vorfahren unserer heutigen Pferde gerade einmal hundegroß und besaßen noch drei bis vier Zehen. Im Laufe der folgenden Millionen Jahre wurden die Urpferde allmählich immer größer und parallel dazu veränderten sich auch ihre Füße: Die beiden seitlichen Zehen wurden immer kleiner und dünner, die Mittelzehe dominierte.

Sonderfall der Evolution

Heute besitzen die Pferde nur noch eine Zehe – umgebildet zum Huf. „Die Reduktion von Zehe kommt in der Evolution von Tieren häufig vor“, erklärt Brianna McHorse von der Harvard University. „Aber dies bis zu nur noch einer Zehe durchzuziehen, ist sehr ungewöhnlich. Die Pferde sind die einzigen lebenden Tiere, die nur noch eine Zehe besitzen.“

Aber warum? Gängiger Theorie nach spielte der Übergang der Urpferde zu einem Leben im offenen Grasland eine entscheidende Rolle dafür: „In den meisten Lehrbüchern und Museen wird erklärt, dass die Pferde größer wurden, als das Grasland allmählich die Wälder in ihrem Lebensraum ablöste“, so McHorse. Wie jedoch die Gewichtszunahme und die veränderte Lebensweise zu einer so radikalen Reduktion der Zehen führte, war bisher unklar.

Seitenzehen als Stabilisatoren

Um das zu klären, haben die Forscher die Zehen von zwölf fossilen Pferdearten mittels Micro-CT analysiert. In biomechanischen Modellen testeten sie dann, welchen Druck- und Biegebelastungen die verschiedenen Zehenformen standhalten konnten. Auf diese Weise konnten sie auch ermitteln, wie lange die Seitenzehen noch aktiv am Tragen der Körperlast mitwirkten.

Evolution der Pferde am Beispiel einiger Urpferde und ihrer Zehen © Ralf Roletschek/CC-by-sa 3.0

Das Ergebnis: Noch bis vor rund 20 Millionen Jahren waren die Seitenzehen für die Urpferde unverzichtbar. Noch bei Parahippus trugen sie einen beträchtlichen Teil der Last und verhinderten so, dass die Mittelzehe unter der Last brach. „Diese Entlastung könnte direkt durch den Bodenkontakt der Zehen erfolgt sei oder aber indirekt, indem Ligament-Verbindungen der Seiten-zum Mittelzeh diesen stabilisierten“, berichten die Forscher.

Knochenstruktur angepasst

Doch bei späteren Urpferden wie Pliohippus und Hippotherium änderte sich dies: „Als das Körpergewicht zunahm und die Seitenzehen weiter schrumpften, kompensierte die Mittelzehe dies, indem sie ihre interne Struktur veränderte“, erklärt Koautorin Stephanie Pierce von der Harvard University.

Durch Umverteilung der Knochenmasse innerhalb der Mittelzehe wurden deren Seiten stabiler und dicker, dadurch konnte sie biegenden Kräften besser widerstehen. „Gleichzeitig erhöhte sich die Knochenmasse dieser Zehe insgesamt, wodurch sie auch den Kompressionskräften besser standhalten konnte – bei Tieren mit großem Körper ist dies ein entscheidender Faktor“, so Pierce.

Erst nachdem die Mittelzehe auf diese Weise gestärkt war, konnte die Urpferde schließlich ihre Seitenzehen komplett reduzieren. Sie wurden nicht mehr gebraucht und störten sogar eher beim schnellen Lauf. „Die Kosten für die Seitenzehen überwogen dann ihre Nützlichkeit bei der Stabilisation und dem Lasttragen“, so die Forscher. (Proceedings of the Royal Society B,2017; doi: 10.1098/rspb.2017.1174)

(Harvard University, 23.08.2017 – NPO)

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