Vierbeinige Überlebenskünstler: Ratten haben sich perfekt an das Leben in unseren Großstädten angepasst. Dabei profitieren die Nager von speziellen Erbgut-Veränderungen, wie nun eine Studie an New Yorker Stadtratten enthüllt. Demnach tragen die Stadtratten auffallend viele Gensequenzen, die sie unter anderem vor Stress, Erregern und Giften schützen könnten. Auch ihre Zucker- und Fettverdauung ist offenbar gestärkt.
Ratten erfreuen sich bei uns Menschen nicht gerade großer Beliebtheit: Sie gelten als Schädlinge, als Überträger der Pest und als Reservoir für gefährliche resistente Keime. Doch ungeachtet ihres schlechten Rufs sind Ratten eine sehr soziale, anpassungsfähige und intelligente Spezies. Sie betreiben Tauschhandel, können Reue empfinden und träumen sogar von der Zukunft. Zudem ist es diesen Nagetieren gelungen, nahezu alle Lebensräume für sich zu erobern – auch und gerade unsere Großstädte.
Spuren im Erbgut?
Doch was macht die Stadtratten so erfolgreich? Forscher vermuten schon länger, dass die in urbaner Umgebung lebenden Ratten spezielle Anpassungen entwickelt haben, um mit dem Stress, der künstlichen Umgebung und der vorwiegend aus unseren Essenresten bestehenden Nahrung zurechtzukommen. Theoretisch müssten sich diese Anpassungen auch im Erbgut der Stadtratten zeigen: Günstige Genvarianten sollten bei urbanen Raten weiter verbreitet sein als bei ihren ländlichen Artgenossen.
Ob dies stimmt, haben nun Arbel Harpak von der Columbia University in New York und seine Kollegen untersucht. Um die gewitzten Stadtratten zu fangen, stellten sie mit Speck, Erdnussbutter und Hafer bestückte Lebendfallen an verschiedenen Punkten im Stadtgebiet von Manhattan auf. Von 29 der so gefangenen Raten nahmen sie DNA-Proben und analysierten diese im Labor.
In den resultierenden Genomen suchten die Forscher nach DNA-Sequenzen, sogenannten Haplotypen, die bei den Stadtratten häufiger vorkamen als es der normalen Genvielfalt entspricht. Solche Häufungen gelten als Indiz für aktuelle genetische Anpassungen, sogenannte „selektive Sweeps“.
Auffallende Genveränderungen
Das Ergebnis: Tatsächlich gibt es im Erbgut der New Yorker Stadtratten einige Auffälligkeiten. „Wir haben Kandidaten für selektive Sweeps nahe oder in Genen gefunden, die mit dem Stoffwechsel, der Ernährung, der Organentwicklung und dem lokomotorischen Verhalten verknüpft sind“, berichten Harpak und sein Team. „In einigen der Top-Genorte beobachteten wir nur einen einzigen Haplotyp bei allen Testtieren.“
Bestätigt wurden diese Ergebnisse durch einen Vergleich der Stadtratten-DNA mit der von Ratten aus dem ländlichen Nordosten Chinas – einem Gebiet, das als ursprüngliche Heimat der Rattenspezies Rattus norvegicus gilt. Die Analysen ergaben: „Die chinesischen Genotypen sind oft an den Genorten heterogen, an denen die New Yorker Ratten homogen sind“, berichten die Forscher. Dies deute darauf hin, dass die genetischen Anpassungen von den Stadtratten tatsächlich nachträglich erworben wurden.
Ein Näschen für Stadtdüfte und eine gute Fettverdauung
Nach Ansicht der Wissenschaftler bestätigt dies, dass die Stadtratten von New York sich in spezieller Weise an ihr Leben im Großstadtdschungel angepasst haben. Sie besitzen unter anderem Veränderungen an einigen Genen, die für Riechrezeptoren und die Reaktion auf chemische Reize zuständig sind. Das spricht dafür, dass die Stadtratten sich an die Gerüche der Stadt angepasst haben.
Zudem tragen die Stadtratten Genanpassungen, die ihnen bei der Suche nach Futter und dessen Verdauung helfen. „Der Speiseplan der Stadtmenschen enthält zunehmend hohe Anteile prozessierter Zucker und Fette“, erklären Harpak und seine Kollegen. Das sei nicht nur für den Menschen ungesund, sondern potenziell auch für die Ratten. Insofern passt es ins Bild, dass die Stadtratten mehrere Veränderungen in Genen für die Zucker- und Fettverdauung tragen, wie die Analysen enthüllten.
Gestärkt gegen Gifte, Stress und Krankheiten
Doch das Leben in der Stadt bringt für die Ratten auch neue Gefahren mit sich – und auch daran haben sie sich offenbar zumindest in Teilen angepasst. So liegt eine prominent vertretene DNA-Veränderung nahe einem Gen, das den Abbau aufgenommener Gifte begünstigen kann, wie die Forscher berichten. Das könnte den Stadtratten helfen, sich gegen Schadstoffe und Gifte zu schützen.
Andere Veränderungen betreffen Gene für das Immunsystem – auch das ein Hinweis auf die Anpassung an die ungesündere Umgebung. Dass das Leben in der Großstadt auch die Psyche der Ratten belastet, könnte eine weitere auffällige DNA-Sequenz nahelegen. Denn sie liegt in einem Gen, das beim Menschen mit psychiatrischen Störungen und psychischen Folgen frühkindlichen Stresses verknüpft ist.
„Die genetische Anpassung und die Plastizität im Phänotyp gelten als entscheidende Treiber für den Erfolg von Ratten und anderen in Städten vorkommenden Arten“, konstatieren Harpak und sein Team. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass diese Anpassungen bei den Ratten von New York City zumindest in Teilen auf rapide Veränderungen in der Genzusammensetzung dieser Population durch die natürliche Selektion zurückgehen.“ (bioRxiv, 2020)
Quelle: bioRxiv