Stacheliges Erbe: Genetiker haben herausgefunden, wie so viele verschiedene Pflanzenarten unabhängig voneinander Stacheln entwickeln konnten. Der Ursprung der spitzen Epidermis-Auswüchse liegt demnach in einer uralten Genregion. Unabhängig voneinander haben Rosen, Nachtschattengewächse und viele andere Pflanzen diese Bauanleitung an- oder ausgeschaltet. Verändert man das entsprechende Gen gezielt, lassen sich die Stacheln einer Pflanze sogar künstlich entfernen, wie das Team in „Science“ berichtet.
Zwar sind Rosen für ihre umgangssprachlich als Dornen bezeichneten Stacheln berühmt-berüchtigt, aber sie sind bei weitem nicht die einzigen Pflanzen, die sich mit Stacheln schützen. Tatsächlich haben sich solche spitzen Ausstülpungen der Epidermis in den vergangenen 400 Millionen Jahren mindestens 28 Mal unabhängig voneinander in verschiedenen Pflanzenfamilien entwickelt. Einige Pflanzen bilden ihre Stacheln am Stängel aus, andere dagegen auf ihren Blättern oder sogar auf ihren Früchten.
Ein Gen für die Stachelbildung
Doch wie kommen diese Pflanzenstacheln zustande? Wo liegt ihre Bauanleitung? Forschende um James Satterlee vom Cold Spring Harbor Laboratory in New York haben sich auf die Suche nach dem genetischen Ursprung der pflanzlichen Schutzausrüstung begeben. Dafür analysierte das Team zunächst die Genome verschiedener Auberginen-Arten – sowohl solche mit als auch ohne Stacheln – und stieß dabei auf ein vielversprechendes Gen namens PRICKLESSNESS (kurz: PL).
Wie sich zeigte, liegt dieses PL-Gen bei Auberginen mit Stacheln in seinem normalen Zustand vor, bei Auberginen ohne Stacheln fanden Satterlee und seine Kollegen jedoch verschiedene Mutationen innerhalb von PRICKLESSNESS. Dieses Muster trat auch bei der vergleichenden Genomanalyse von weiteren stachelfreien und stacheligen Nachtschattengewächsen auf, woraus die Forschenden schließen, dass das PL-Gen essenziell für die Stachelbildung einer Pflanze sein muss.
Gleicher Mechanismus, viele Umsetzungen
Doch wie genau funktioniert der Einfluss von PRICKLESSNESS? Wie das Team feststellte, liegt das PL-Gen in einer uralten Genregion des Typs LONELY GUY oder kurz LOG. LOG-Gene sind für die Herstellung des Hormons Cytokinin verantwortlich, das wiederum die Zellteilung und -vergrößerung bewirkt. Ein verändertes PL-Gen beeinflusst somit wahrscheinlich auch die Cytokinin-Bildung und sorgt so dafür, dass dieses keine Stachelbildung mehr anregt, wie die Forschenden erklären.
Dieser Mechanismus ist dabei offenbar so tief im genetischen Pflanzen-Code verankert, dass er längst nicht nur bei Aubergine und Co. zum Tragen kommt. „Über die Nachtschattengewächse hinaus haben wir festgestellt, dass LOG-Mutationen mit Stachelverlusten bei allen Blütenpflanzen, einschließlich der Chinesischen Dattel und der Zierrose, verbunden sind“, berichten Satterlee und seine Kollegen. Auch in Gerste und Reis konnte das Team PL-Homologe feststellen.
Daraus schließen die Forschenden, dass die verschiedenen Pflanzenlinien unabhängig voneinander den gleichen Mechanismus zur Stachelbildung oder -reduktion einsetzen. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die gleichen genetischen Komponenten selbst über lange evolutionäre Zeitläufe wiederholt genutzt werden können, um konvergente Phänotypen zu erzeugen“, schreiben Satterlee und sein Team.
Rosen ohne Stacheln?
Die neuen Erkenntnisse sind jedoch nicht nur für die Evolutionsforschung von großer Bedeutung, sondern auch für die Landwirtschaft. Denn indem man künstliche Mutationen im PL-Gen von Zier- und Kulturpflanzen einbaut, könnten man diese dauerhaft von ihren Stacheln befreien und so die Arbeit von Landwirten und Floristen erleichtern. Bislang ist es Satterlee und seinem Team zum Beispiel schon gelungen, „dornenfreie“ Rosen zu erzeugen.
Auch die in Australien heimischen Beere Solanum centrale konnte bereits erfolgreich von ihren Stacheln befreit werden. Sie und andere weniger bekannte Früchte könnten dadurch künftig erstmals in großem Maßstab angebaut und vielleicht sogar in hiesige Supermärkte exportiert werden. (Science, 2024; doi: 10.1126/science.ado1663)
Quelle: Amerikanische Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft (AAAS), Cold Spring Harbor Laboratory