Mysteriöse Sanduhr-Figur: Wissenschaftler haben herausgefunden, wie die schmale Taille der Spinnen zustande kommt – die charakteristische Einschnürung zwischen Vorderkörper und Hinterleib. Verantwortlich für diese Taille ist demnach ein uraltes Regulations-Gen, das erst jetzt identifiziert wurde. Wird es ausgeschaltet, bleiben Spinnenbabys rund. Die Existenz dieses Gens könnte auch die Evolutionsgeschichte der Gliederfüßer auf den Kopf stellen, wie das Team in „PLoS Biology“ berichtet.
Anders als Insekten bewegen sich Spinnen auf gleich acht Beinen durch die Gegend. Doch ihren Körper zeichnet noch eine weitere Besonderheit aus: eine schmale Taille. Sie trennt den Körper der flinken Gliederfüßer in zwei Segmente – den Vorderleib (Prosoma) mitsamt Kopf und den Hinterleib (Opisthosoma). Doch wie diese Taille entsteht und welche Gene für ihre Bildung verantwortlich sind, war bislang unklar. Das liegt auch daran, dass insgesamt nur verhältnismäßig wenig über die Genetik und Embryonalentwicklung von Spinnen bekannt ist.
Auf der Suche nach dem Taillen-Gen
Forschende um Emily Setton von der University of Wisconsin-Madison haben diese Wissenslücke nun zumindest teilweise geschlossen. Um die Blaupause für die charakteristische Spinnentaille im Genom der Achtbeiner zu lokalisieren, sequenzierten sie zunächst jene Gene, die bei Embryos der Vogelspinne Aphonopelma hentzi in verschiedenen Entwicklungsstadien aktiv sind.
Dabei fanden Setton und ihr Team insgesamt zwölf Gene, deren Aktivität in Vorder- und Hinterleib des Embryos unterschiedlich stark ausgeprägt ist und die somit eine Rolle bei der Taillenbildung spielen könnten. Um herauszufinden, welches von ihnen entscheidend ist, schalteten sie die verschiedenen Gene bei Embryos der Gewächshausspinne (Parasteatoda tepidariorum) nach und nach einzeln stumm. Dann beobachteten die Forschenden, wann die Spinnenbabys eine Taille ausbildeten und wann nicht.
Uralt und doch neu
Dabei zeigte sich: Die Taillenbildung der Spinnen wird von einem Gen ausgelöst, dessen Aufbau und Funktion zuvor unbekannt waren. Setton und ihre Kollegen tauften es „waist-less“, also taillenlos, weil Spinnenembryos ohne seine Aktivität keine Einschnürung des Rumpfes entwickeln. Wie sich in weiteren Untersuchungen zeigte, handelt es sich bei „waist-less“ um ein uraltes Gen aus der Familie der Segmentierungsgene.
Das Überraschende jedoch: Bei anderen, gut untersuchten Gliederfüßern wie Insekten und Krebstieren ist dieses Gen trotz seines evolutionär hohen Alters bislang nicht in Erscheinung getreten. Setton und ihre Kollegen vermuten, dass dies mit einem Genverlust im Arthropoden-Stammbaum zusammenhängt: Zwar besaß der Ur-Gliederfüßer dieses Gen und vererbte es an die Spinnen. Doch der gemeinsame Vorfahre von Insekten und Krebstieren muss das „waist-less“-Gen dann wieder verloren haben, wie die Forschenden erklären.
Gliederfüßer-Evolution auf dem Prüfstand
Das stellt allerdings gängige Annahmen über die Evolution der Gliederfüßer in Frage. Denn bisher ging man davon aus, dass sich der Körperbau dieser Tiergruppe durch nur geringfügige Veränderungen in der Expression zentraler Gene entwickelte. Aber: „Die Entdeckung des Waist-less-Gens zeigt, dass dieses Paradigma möglicherweise zu vereinfacht ist“, sagt Setton.
Um mehr über die Entwicklungsbiologie von Spinnen und Gliederfüßern zu erfahren, untersuchen die Forschenden nun ein ähnliches Gen bei Weberknechten. Sie vermuten, dass „Iroquois3“ für die Entwicklung der antennenförmigen, grazilen Beine dieser Spinnentiere verantwortlich ist und mehr über die Rolle von Segmentierungsgenen verraten könnte. (PLoS Biology, 2024; doi: 10.1371/journal.pbio.3002771)
Quelle: PLOS