Biologie

Wie eine Raubwanze Spinnen überlistet

Gleich mehrere Tricks helfen der Wanze, sich unbemerkt anzuschleichen

Die Raubwanzen der Gattung Stenbolemus sind gewiefte Spinnenjäger - und sehen mit ihren langen Beinen selbst ein wenig spinnenartig aus. © JMK/CC-by-sa 3.0

Raffinierte Taktik: Die Raubwanze Stenolemus lebt gefährlich, denn ihre Beute sind wehrhafte Netzspinnen. Wie sich der Räuber unbemerkt anschleicht, haben Biologen nun beobachtet. Die Wanze kappt dafür nach und nach die Spinnfäden des Netzes. Damit Vibrationen sie dabei nicht verraten, hält das Raubinsekt die durchtrennten Fäden noch einige Zeit fest, bevor es sie dann vorsichtig loslässt. Dabei nutzt es Erschütterungen durch den Wind als zusätzliche Tarnung.

Spinnen sind alles andere als wehrlos: Sie besitzen kräftige, scharfe Beißklauen, mit denen sie selbst harte Insektenpanzer problemlos durchbohren können. Außerdem verfügen sie über potente Gifte und nutzen ihre Netze wie eine Art verlängertes Sinnesorgan, um über Vibrationen sowohl Beute als auch Gefahren zu erkennen.

Riskante Beute

Das jedoch hält die Raubwanze Stenolemus giraffa nicht davon ab, ausgerechnet Netzspinnen zu jagen. Sie überrascht und überwältigt die Spinnen typischerweise an deren Ruheplätzen – meist mitten im Spinnennetz. „Das ist ein ziemlich riskanter Lebensstil, weil die Spinnen selbst hervorragende Prädatoren sind“, erklärt Fernando Soley von der Macquarie University in Sydney.

Entsprechend unklar war bisher, wie die immerhin zwei Zentimeter großen Raubwanzen es schaffen, sich den Spinnen unbemerkt zu nähern. Denn weil das Netz sie nicht trägt, müssen sie die im Weg liegenden Spinnfäden zerreißen. Das jedoch erzeugt eigentlich starke Erschütterungen im Netz, die die Spinne sofort registrieren müsste.

Vorsichtig und nacheinander

Den geheimen Trick der Raubwanzen hat nun Soley entlarvt. Für seine Studie beobachtete er sowohl im Freiland als auch im Labor, wie die Raubwanzen sich einer Spinne im Netz nähern. Durch eine spezielle Apparatur ermittelte er dabei, wie große die entstehenden Vibrationen sind – und wie die Wanze die Fäden zerreißt.

Die Raubwanze Stenolemus giraffa (links) beim Angriff auf eine Spinne © Macquarie University

Dabei zeigte sich: Die Raubwanze geht erstaunlich vorsichtig vor: In 93 Prozent der Fälle packt sie den Spinnfaden mit jeweils einem Vorderbein und zieht ihn solange auseinander, bis er reißt. „Dann jedoch lässt die Raubwanze ihn nicht einfach los, sondern hält die beiden losen Enden weiter fest, meist mehrere Sekunden, manchmal sogar mehrere Minuten lang“, berichtet Soley.

Die Raubwanze gibt dann die Fadenenden nacheinander, in zeitlichem Abstand frei und verharrt anschließend einige Zeit vollkommen regungslos. Weil eine Beute im Netz ständig zappeln würde, erkennt die Spinne diese kurzen, von längeren Pausen unterbrochenen Erschütterungen nicht als Gefahrensignal und ignoriert sie, wie der Biologe erklärt.

Wind als Tarnung

Beim Loslassen der Enden geht die Raubwanze ebenfalls besonders behutsam vor: Sie streckt ihre Beine, bis der Spinnfaden nicht mehr unter Spannung steht und lässt ihn erst dann los, wie Soley berichtet. Das verhindert das heftige Zurückfedern der Fäden und damit die Vibrationen. Tatsächlich ergaben die Messungen, dass die sich dadurch verursachte Erschütterung kaum vom Hintergrundvibrieren des Netzes abhob.

Die Raubwanze hat aber noch einen Trick auf Lager: Wie der Forscher beobachtete, nutzen die meisten dieser Räuber den Wind als zusätzliche Tarnung. Sie warten, bis ein Windstoß das Netz ohnehin erschüttert, bevor sie einen Spinnfaden zerreißen. „Neun der Testwanzen zerrissen sogar nur dann Fäden, wenn es windig war“, berichtet Soley.

Komplexe Strategie

„Die Raubwanze Stenolemus giraffa nutzt damit eine Kombination von heimlichtuerischem Verhalten und Umweltgeräuschen, um sich an die Spinne anzuschleichen“, berichtet Soley. Schon in der näheren Umgebung der Spinnennetze bewegen sich die Raubwanze dabei besonders langsam und vorsichtig. Sie achten zudem darauf, nicht unnötig mit Spinnfäden in Kontakt zu kommen, wie der Forscher erklärt.

„Das gesamte Jagdverhalten von Stenolemus giraffa ist auf eine komplexe Weise daran angepasst, die raffinierten Wahrnehmungsstrategien der netzbauenden Spinnen zu umgehen“, so Soley. Dies demonstriert auf ziemlich eindrückliche Weise das evolutionäre „Wettrüsten“ von Räuber und Beute. (Royal Society Open Science, 2016; doi: 10.1098/rsos.160573)

(Royal Society, 26.10.2016 – NPO)

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