Neurobiologie

Wie frei ist unser freier Wille?

"Fernsteuerung" durch unbewusste Hirnprozesse reicht weniger weit als gedacht

Wer steuert unserer Entscheidungen? Unser bewusstes Ich oder unbewusste Prozesse in unserem Gehirn? © satellitesixty/ iStock.com

Unser freier Wille reicht weiter als bisher angenommen: Selbst wenn unser Unbewusstes schon eine Entscheidung gefällt hat, können wir sie noch umstoßen, wie ein Experiment nun belegt. Unser Bewusstsein hat demnach doch noch ein Vetorecht und wird nicht einfach von unbewussten Prozessen ferngesteuert, wie es einige Studien andeuteten. Allerdings: Es gibt trotzdem einen Punkt, ab dem es kein Zurück mehr gibt, wie die Forscher herausfanden.

Wie frei sind wir in unseren Entscheidungen? Werden wir von unserm Gehirn bloß ferngesteuert? Diese Frage beschäftigt Hirnforscher, Psychologen und Philosophen schon seit den 1980er Jahren. Denn damals zeigte ein Experiment, dass unser Gehirn Entscheidungen vorwegnimmt: Noch bevor wir uns bewusst sind, wie unsere Wahl ausfallen wird, aktiviert das Gehirn Schaltkreise für eine der beiden Möglichkeiten – dies ist an Messungen der Hinströme ablesbar.

Wie aber kann es sein, dass unser Gehirn schon vorab weiß, wie wir uns entscheiden werden – bevor es bewusst passiert? Der Nachweis dieser Hirnreaktion gilt seither als Argument dafür, dass der freie Wille eine Illusion ist. Denn offenbar werden unsere Entscheidungen durch unbewusste Hirnmechanismen erzeugt und nicht durch unser bewusstes Ich gesteuert – oder doch nicht?

Wer ist am Steuer: das Ich oder das Unbewusste?

John-Dylan Haynes vom Bernstein Center for Computational Neuroscience der Charité in Berlin und seine Kollegen haben diese Frage nun neu aufgerollt. „Unser Ziel war herauszufinden, ob mit dem Auftreten der frühen Hirnwellen eine Entscheidung automatisch und unkontrollierbar erfolgt, oder ob sich der Proband noch umentscheiden kann, also ein Veto ausüben „, erklärt Haynes.

Hirnduell mit Computer: Proband während des Experiments © Charité/ Carsten Bogler

Für das Experiment saßen Probanden vor einem Bildschirm, auf dem zuerst ein grünes Licht leuchtete, dann nach einem unberechenbaren Zeitraum auf Rot wechselte. Aufgabe war es, irgendwann im grünen Zeitraum auf einen Fußschalter zu treten, auf keinen Fall aber im roten Zeitraum. Während des Versuchs trugen die Teilnehmer eine Elektrodenkappe, über die ihre Hirnströme abgeleitet wurden.

Ein Veto geht trotzdem noch

Der Sinn dahinter: Die Forscher wollten herausfinden, ob die Teilnehmer die Bewegung noch stoppen konnten, nachdem in ihrem Gehirn bereits das typische Muster der Bereitschaft aufgetreten war. Um diese Umentscheidung möglichst oft herbeizuführen, trickste der Computer die Probanden aus: Er schaltete absichtlich immer dann auf Rot, wenn das EEG anzeigte, dass sich im Gehirn der Teilnehmer die Entscheidung für die Bewegung angebahnt hatte.

Und tatsächlich: Mit dem plötzlichen Umschlag des Lichts von grün nach rot konfrontiert, schafften es die Probanden, ihre Entscheidung noch zu ändern. Selbst wenn ihr Gehirn bereits Vorbereitungen für die Fußbewegung anzeigte, blieb die Bewegung aus. „Sie waren dazu in der Lage, aktiv in den Ablauf der Entscheidung einzugreifen und eine Bewegung abzubrechen“, erklärt Haynes. „Die Probanden sind den frühen Hirnwellen demnach nicht unkontrollierbar unterworfen.“

Ab 200 Millisekunden gibt es kein Zurück mehr

Allerdings gibt es trotzdem einen „Point of no return“: Erfolgte die Umentscheidung weniger als 200 Millisekunden vor Beginn der Bewegung, dann konnten die Probanden ihre Bewegung nicht mehr stoppen. Ab diesem Punkt läuft die Kaskade der Befehle an die Muskeln vollautomatisch ab und kann nicht mehr unterbrochen werden. Die einzige Einflussmöglichkeit, die wir dann noch haben, ist eine Modifikation, indem wir beispielsweise den Fuß neben den Schalter treten statt darauf.

Dennoch sehen die Forscher ihre Ergebnisse als wichtiges Zeichen dafür, dass wir keineswegs von unserm Gehirn ferngesteuert sind: „Dies bedeutet, dass die Freiheit menschlicher Willensentscheidungen wesentlich weniger eingeschränkt ist, als bisher gedacht“, betont Haynes. Bis unmittelbar vor dem bewussten Ausdruck der Entscheidung können wir uns noch anders entscheiden als unser Gehirn es vorgibt. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2015; doi: 10.1073/pnas.1513569112)

(Charité – Universitätsmedizin Berlin / PNAS, 21.12.2015 – NPO)

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