Absichtlich ausradiert: Um bewusst zu vergessen, muss unser Gehirn besonders aktiv werden. Experimente zeigen: Die Absicht, Inhalte aus dem Gedächtnis zu löschen, aktiviert unser Denkorgan überraschenderweise stärker als der Versuch, sich etwas einzuprägen. Die Folge dieser erhöhten Aktivität ist tatsächlich eine verblasste Erinnerung. Allerdings funktioniert das Vergessen nicht bei allen Gedächtnisinhalten gleichermaßen gut, wie die Forscher berichten.
Ob Krieg, Krankheit oder Missbrauch: Manche Erinnerungen sind so traumatisch, dass sie ein Funktionieren im Alltag nahezu unmöglich machen. Für Betroffene könnte es daher eine echte Befreiung sein, wenn sie gezielt vergessen könnten – und das ist tatsächlich möglich. Studien belegen, dass sich Erinnerungen mithilfe pharmazeutischer Gedächtnisblocker förmlich ausradieren lassen.
Doch sogar ohne medikamentöse Unterstützung kann bewusstes Vergessen gelingen: Schon die Willenskraft allein reicht manchmal dafür aus. So offenbaren Experimente: Die konkrete Absicht, gelernte Informationen aus dem Gedächtnis zu löschen, führt tatsächlich dazu, dass diese Inhalte später schlechter erinnert werden. „Die Forschung zeigt, dass wir die Fähigkeit besitzen, absichtlich zu vergessen. Wie unser Gehirn das schafft, ist aber noch unklar“, sagt Jarrod Lewis-Peacock von der University of Texas in Austin.
Vergessen oder einprägen
Um mehr über diese Hintergründe herauszufinden, haben der Wissenschaftler und seine Kollegen um Erstautorin Tracy Wang nun Menschen beim Vergessen ins Gehirn geschaut. Für ihre Studie zeigten sie erwachsenen Probanden unterschiedliche Bilder von Landschaften und menschlichen Gesichtern. Dabei gaben sie ihnen jeweils den Hinweis, sich die gesehene Aufnahme unbedingt einzuprägen oder aber diese zu vergessen.
Mithilfe der Magnetresonanztomografie (MRT) beobachtete das Team, was währenddessen in bestimmten Regionen des temporalen Cortex der Studienteilnehmer passierte – Bereichen, in denen das visuelle Arbeitsgedächtnis sitzt und die für die Repräsentation von Erinnerungen an komplexe visuelle Reize zuständig sind. Würden sich je nach Aufgabenstellung Unterschiede in der Hirnaktivität zeigen?
Stärkere Aktivierung
Die Ergebnisse offenbarten: Erhielten die Probanden einen Vergessenshinweis, wurden die untersuchten Gehirnregionen bei ihnen stärker aktiviert als mit Erinnerungsauftrag. Diese erhöhte Aktivität führte dazu, dass sich die Teilnehmer tatsächlich schlechter an die fraglichen Bilder erinnern konnten.
Doch um erfolgreich zu vergessen, durfte die Aktivität gleichzeitig nicht zu hoch sein, wie die Experimente zeigten: „Ein moderates Aktivitätslevel scheint entscheidend für den Prozess des Vergessens zu sein“, berichtet Wang. „Ist die Aktivität zu hoch, wird die Erinnerung gestärkt, ist sie zu schwach, bleibt die Erinnerung unverändert erhalten.“
Ansatz für Therapien
Auch die Art der Abbildung beeinflusste den Erfolg des Vergessens. So fiel es den Probanden schwerer, Bilder von Gesichtern aus ihrem Gedächtnis zu löschen als andere Motive. Die Forscher vermuten, dass dies mit deren emotionalen Gehalt zu tun hat. Menschliche Gesichter lösen demnach stärkere Emotionen in uns aus als Bilder von Orten oder Landschaften – und je emotionaler wir eine Situation wahrnehmen, desto stärker brennt sie sich nachweislich in unser Gedächtnis ein.
Aktivieren statt unterdrücken – mit ihrer Arbeit haben Wang und ihre Kollegen nun erstmals Hinweise darauf gefunden, dass dieser Ansatz gezieltes Vergessen möglich macht. In Zukunft wollen die Wissenschaftler dieses Phänomen weiter untersuchen. Denn sind diese Prozesse im Detail verstanden, könnte vielen Patienten geholfen werden, so die Hoffnung.
„Wenn wir entschlüsseln, wie Erinnerungen geschwächt werden und Wege finden, diesen Prozess zu beeinflussen, dann können wir Therapien entwickeln, die Menschen dabei unterstützen, belastende Erinnerungen loszuwerden“, schließt Wang. (The Journal of Neuroscience, 2019; doi: 10.1523/JNEUROSCI.2033-18.2019)
Quelle: University of Texas Austin/ Society for Neuroscience