„Alles“, „nichts“ oder „manche“: Schon Dreijährige benutzen erste abstrakte Mengenwörter. In welcher Reihenfolge sie sich solche Begriffe aneignen, ist dabei offensichtlich bei allen Kindern auf der Welt ähnlich. Das legt nun ein Experiment nahe. Demnach scheint das Lernen quantitativer Begrifflichkeiten einem universellen Schema zu folgen – und ist weitestgehend unabhängig von der Muttersprache.
Sprache ist das, was den Menschen ausmacht. Wörter lernen, sie nach bestimmten Regeln kombinieren und auf diese Weise die Welt beschreiben – das können nur wir. Das Vermögen zum Spracherwerb ist uns in die Wiege gelegt. Schon Säuglinge erkennen zum Beispiel, wenn jemand völlig falsche Silbenkombinationen äußert. Doch bis sie selber Wörter aussprechen und sinnvoll benutzen können, dauert es seine Zeit.
Ungefähr im Alter von drei Jahren verfügen Kinder über einen umfangreichen Fundus an Vokabeln und können einfache Sätze problemlos verstehen. Bis zu diesem Zeitpunkt haben sie auch die ersten Zahlenwörter kennengelernt – und benutzen darüber hinaus abstrakte Begriffe für Mengen wie „alles“ oder „manche“. Doch nach welchem Prinzip eignen sie sich diese Wörter für quantitative Beschreibungen an?
Wahr oder falsch?
Sprachwissenschaftler um Napoleon Katsos von der University of Cambridge sind dieser Frage nun nachgegangen. Sie wollten testen, ob Kinder abstrakte Mengenwörter womöglich in einer festgelegten Reihenfolge lernen, die unabhängig von ihrer Muttersprache ist. Studien deuten darauf hin, dass diese Annahme zumindest für konkrete Zahlenwörter zutrifft. Demnach lernen Kinder Zahlen in der Regel in aufsteigender, numerischer Folge – ein Prinzip, das für Mengenwörter allerdings nicht anzuwenden ist. Diese lassen sich schließlich nicht so leicht ordnen.
Für ihre Untersuchung unterzogen die Forscher 768 Fünfjährige sowie 536 Erwachsenen einem Sprachtest. Insgesamt akquirierte das Team Muttersprachler 31 verschiedener Sprachen – von Englisch über Koreanisch bis hin zu Russisch. Im Test mussten die Probanden entscheiden, ob bestimmte über fünf Objekte getroffene Aussagen, die die Forscher in unterschiedlichen Kisten arrangierten, stimmten oder nicht – zum Beispiel: „Alle Gegenstände befinden sich in den Kisten.“
Ähnliche Schwierigkeiten – unabhängig von der Muttersprache
Die Ergebnisse zeigten: Erwachsene kennen die Bedeutung sämtlicher getesteter Begriffe wie erwartet gut und wenden sie richtig an. Ihre Antworten waren im Schnitt in 99 Prozent der Fälle korrekt. Die Kinder hingegen schnitten etwas schlechter ab. Sie gaben im Experiment durchschnittlich 82 Prozent ihrer Antworten korrekt.
Interessant dabei: Viele der jungen Probanden taten sich mit ähnlichen Wörtern schwer – unabhängig von ihrer Nationalität. So verstanden Kinder etwa grundsätzlich solche Mengenwörter besser, die sich auf alle oder keins der Objekte bezogen als auf solche, die nur einem Teil der Menge eine Eigenschaft zuschrieben. Demnach kannten sie die Bedeutung von „alles“ und „nichts“ besser als die von „manche“ oder „manche nicht“.
Auch die Komplexität des Sachverhalts, den die Begriffe erklärten, spielte den Forschern zufolge eine Rolle für das Verständnis. Kinder verstanden demnach den Ausdruck „die meisten“ schlechter als „manche“. Letzteres ist laut Katsos und seinen Kollegen einfacher: „Denn in diesem Fall müssen die Kinder keinen Vergleich anstellen.“ Es reiche, wenn sie ein Beispiel fänden, dann sei der Satz wahr.
Universelles Schema
Das Experiment legt nahe, dass Kinder abstrakte Mengenwörter tatsächlich nach einem universellen Schema lernen – auch wenn andere Einflussgrößen wie soziale und biologische Faktoren ebenfalls eine Rolle spielen. Ob Kinder einen Begriff in einem bestimmten Alter bereits sicher verstehen und anwenden, hängt dabei von festen Bedingungen ab. Als wichtige Faktoren gelten dem Team zufolge dabei unter anderem die Totalität und die Komplexität der Wörter.
Diese Erkenntnisse deckten sich auch mit jüngsten Thesen, die davon ausgehen, dass Menschen auf der ganzen Welt Sprache in vielen Fällen auf ähnliche Weise benutzen und Wörtern nach vergleichbaren Mustern Bedeutungen zusprechen – ganz unabhängig davon, ob sie Französisch, Deutsch oder Chinesisch reden. Welche Mechanismen diesem universellen Lernprozess zugrunde liegen, will Katsos Team künftig weiter erforschen. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2016; doi: 10.1073/pnas.1601341113)
(PNAS, 02.08.2016 – DAL)