Fermentiertes Superfood: In Kefir befinden sich eine besonders hohe Zahl an unterschiedlichen Mikroorganismen, die miteinander kooperieren, wie Untersuchungen nun gezeigt haben. Demnach ernähren sich die Bakterien und Hefen aus der Milch und den Kefirknollen von den Stoffwechselprodukten der jeweils anderen. Mit dieser Zusammenarbeit sichern sie ihr Überleben – also ein evolutiver Vorteil, wie die Forscher spekulieren.
Verdickte Milchprodukte wie Joghurt gären mithilfe von Milchsäurebakterien. Den Mikroorganismen wird ein positiver Einfluss auf die Darmflora zugesprochen: Die Bakterien sollen unter anderem die Zahl und Art der Mikroben im Verdauungstrakt beeinflussen, schädliche Stoffe im Darm abbauen und so vermutlich das Darmkrebsrisiko verringern. Gerade probiotische Joghurts können eine besonders gesundheitsfördernde Wirkung auf die Verdauung haben.
Noch wirksamer soll aber Kefir sein. Dieser besteht neben Milch auch aus Kefirknollen, die stundenlang in der Milch gären und dabei wachsen. Im Gegensatz zum Joghurt besteht die mikrobielle Gemeinschaft in dem dickflüssigen Sauermilchprodukt nicht nur aus Bakterienkulturen, sondern auch aus Hefen und ist weit artenreicher.
Wie verhalten sich die Mikroben im Kefir?
Aber wie interagieren die verschiedenen Mikroorganismen im Kefir? Um das Zusammenleben der Mikroben näher zu ergründen, haben Forscher um Sonja Blasche vom European Molecular Biology Laboratory (EMBL) nun die Stoffwechselinteraktionen im Kefir analysiert. Vorherige Forschungen zeigten, dass einzelne Mikrobenarten in Gemeinschaften von den anderen Spezies abhängig sein können.
Blasche und ihre Kollegen sammelten für ihren erweiterten Ansatz 15 Kefirproben von verschiedenen Herstellungsorten und beobachteten das jeweilige Wachstum der darin enthaltenen etwa 40 Mikroorganismenspezies. Um die Zusammenarbeit unter den Kefir-Mikroben zu erfassen, untersuchten die Forscher die chemischen Prozesse der Stoffwechselprodukte sowie die vom mikrobiellen Genom produzierten RNA-Transkripte.
Kefirknolle als Bindeglied
Das Ergebnis: Zunächst zeigte sich, dass die Kefirknolle eine entscheidende Rolle für das Wachstum der Mikrobengemeinschaft in dem Sauermilchgetränk spielt. Fügt man die Kefirknollen der Milch bei, so verändert sich die Zusammensetzung der Milch-Mikroben stark. „Das Kefirkorn fungiert als Basis für die Kefir-Gemeinschaft, von der aus die Gemeinschaftsmitglieder die Milch in einer komplexen, aber organisierten und kooperativen Weise besiedeln“, erklärt Blasches Kollege Kiran Patil.
Während der Fermentation siedeln sich in der Kefirkultur viele verschiedene Mikrobenarten mit unterschiedlichen Wachstumsmustern an, die sich an ihre aktuelle Umgebung anpassen und miteinander interagieren. „Schnell und langsam wachsende Spezies und einige, die ihre Geschwindigkeit je nach Nährstoffverfügbarkeit ändern“, sagt Blasche. So bildet sich ein komplexes, mikrobielles Ökoysystem.
Koexistenz ermöglicht Überleben
Das Wachstum der Mikrobengemeinschaft in dem Milchgetränk wird dabei nur möglich, indem die verschiedenen Arten zusammenarbeiten, erklären die Wissenschaftler. Die Organismen ernähren sich von den Stoffwechselprodukten der jeweils anderen in der Kefirkultur. So bauen einige Bakterienarten das Kasein der Milch zu Aminosäuren ab, andere produzieren Milchsäure und andere Moleküle aus dem Milchzucker. Diese wiederum brauchen weitere Mikroben für ihr Wachstum.
„Die Zusammenarbeit erlaubt ihnen, etwas zu tun, was sie alleine nicht tun könnten“, resümiert Patil. So beobachteten die Forscher, dass die in Kefir häufig vorkommenden Bakterienspezies wie Lactobacillus kefiranofaciens die Kefirkörner benötigen, um alle für ihr Überleben nötigen Mikroben an einem Ort zu konzentrieren und zu binden. In Milch alleine überlebt dieses Bakterium hingegen nicht.
Kooperation mit langer Geschichte
Während es zwar sowohl kompetitive als auch kooperative Gemeinschaften gibt, zeigen die Untersuchungen des Kefirs, dass Mikroben in Zusammenarbeit offenbar auch besser an sich verändernde Lebensräume angepasst sind und mit höherer Wahrscheinlichkeit überleben, so die Wissenschaftler. Auch unter Mikroorganismen gilt demnach: Gemeinsam ist man stärker.
Die erfolgreiche Koooeration der Mikrobengemeinschaften der Milch und der Kefirknollen hat sich vermutlich schon früh in der Entwicklung des seit Langem hergestellten Milchgetränks ausgebildet. Schon vor Jahrhunderten bewahrten Menschen in Osteuropa, Russland und dem Nahen Osten Milch in Schafshäuten auf und bemerkten, dass diese Körnchen die Milch länger haltbar machten. Daraus entwickelte sich dann die bewusste Kefirzucht. (Nature Ecology and Evolution, 2021, doi: 10.1038/s41559-020-01353-4)
Quelle: European Molecular Biology Laboratory