Karger Schmaus: Wenn die Rentiere des Weihnachtsmanns Pause machen, dann helfen ihnen ihre im Winter blau gefärbten Augen bei der Suche nach ihrem Lieblingsessen, wie Forschende nun herausgefunden haben. Denn die blauen Rentier-Augen können UV-Licht wahrnehmen, das von Flechten – ihrem bevorzugten Futter – verstärkt absorbiert wird. In der UV-Sicht der Rentiere erscheinen die Flechten dadurch dunkel und heben sich gut von der ansonsten hellen Schneelandschaft ab.
Rudolph und seine Rentierbrüder sind perfekt an das Leben in den kargen, nördlichen Polarregionen angepasst. Wenn sie gerade nicht dem Weihnachtsmann helfen, dann gehen sie mit ihren rutschfesten Hufen und dem dickem Fell auf die Suche nach ihrer Leibspeise: der Rentierflechte (Cladonia rangiferina). Dieser von einer Symbiose aus Algen und Pilzen gebildete Snack wächst im hohen Norden in dicken, knusprigen Teppichen.
Doch es gibt ein Problem: Die Flechte ist fast genauso weiß wie der Schnee um sie herum und damit im arktischen Winter praktisch unsichtbar. Rentierforscher fragen sich daher schon länger, wie es den nördlichen Hirschen gelingt, die Flechte so zielsicher aufzuspüren, dass sie mit ihr als Hauptnahrungsquelle selbst kälteste Winter überstehen. Rudolphs rot leuchtende Nase weist den Rentieren schon einmal nicht den Weg, dafür aber womöglich ein anderes Sinnesorgan.
Zwei Augenfarben, eine Superkraft
Rentiere sind die einzigen bekannten Säugetiere, die ihre Augenfarbe je nach Jahreszeit wechseln können. Im Sommer ist ihr Tapetum – eine lichtverstärkende, glänzende Membran – golden gefärbt, im Winter blau. Dieser Farbwechsel hilft den Rentieren wahrscheinlich dabei, das schwache Licht des polaren Winters zu verstärken und so mehr von ihrer Umgebung wahrzunehmen.
Gleichzeitig sorgt die erhöhte Lichtsensibilität der Rentieraugen aber auch dafür, dass bis zu 60 Prozent des ultravioletten Lichts zu den Sinneszellen ihrer Netzhaut durchdringt. Dadurch sehen Rentiere die Winterwelt um sich herum auch in Ultraviolett – ein wenig so, als stünden wir in einem Raum voller Schwarzlicht. UV-reflektierende Oberflächen wie Schnee erscheinen den Tieren im Winter dann hell, UV-absorbierende Oberflächen wie Stein hingegen dunkel.
Forschende um Nathaniel Dominy vom Dartmouth College haben sich daher gefragt, ob dieser UV-Sinn den Rentieren möglicherweise auch dabei hilft, ihre geliebten Flechten zu finden. Dafür überprüften die Forschenden zunächst im Labor, ob Rentierflechten tatsächlich UV-Licht absorbieren, und ahmten dann die Sicht eines Rentiers mit speziellen Lichtfiltern nach.
Blaue Augen weisen den Weg
Und tatsächlich: Sobald Dominy und seine Kollegen die Welt mit den Augen eines Rentiers betrachteten, konnten sie die zuvor praktisch unsichtbaren weißen Flechten auf einmal problemlos erkennen. Die UV-absorbierenden Gewächse erschienen ihnen als dunkle Flecken in einer ansonsten hell leuchtenden Landschaft. „Es sind also Rudolphs blaue Augen, die es ihm ermöglichen, nach einer langen Weihnachtssaison sein Abendessen zu finden“, fassen Dominy und seine Kollegen zusammen.
Die besondere Sehkraft der Rentiere könnte auch ihre ausgeprägte Liebe zu einzelnen, besonders gut UV-absorbierenden Flechtenarten erklären. „Rentiere wollen keine Energie damit verschwenden, in einer kalten, kargen Umgebung nach Nahrung zu suchen. Wenn sie Flechten schon von weitem sehen können, ist das ein großer Vorteil für sie, denn so können sie in Zeiten knapper Nahrung wertvolle Kalorien sparen“, erläutert Dominy.
Natürlicher UV-Schutz inklusive
Doch die hohe UV-Empfindlichkeit der Rentieraugen hat auch Nachteile, denn zu viel UV-Licht schadet den Augen langfristig und kann sogar blind machen. Damit genau das nicht passiert, nehmen die nordischen Hirsche mit ihrer Nahrung wahrscheinlich auch natürlichen UV-Schutz auf, wie Dominy und sein Team vermuten.
So enthält die Rentierflechte beispielsweise zellschützende Antioxidantien, während in den Knospen der Arktischen Weide und der Zwergbirke viel Vitamin C steckt, das die körpereigene DNA-Reparatur verstärkt. (i-Perception, 2023; doi: 10.1177/20416695231218520)
Quelle: Dartmouth College