Neurobiologie

Wie das Gehirn die Zahl Null erkennt

Die Einordnung einer leeren Menge als Null verläuft über zwei Stationen

Um eine leere Menge als Zahlenwert Null zu erkennen, benötigt unser Gehirn zwei Schritte und zwei Hirnareale. © Wavebreakmedia/ iStock.com

Ein Nichts als Zahl: Forscher haben erstmals aufgedeckt, wie unser Gehirn die Null verarbeitet und erkennt – eine alles andere als triviale Leistung. Denn eine leere Menge, ein Nichts, muss dabei als Teil der mentalen Zahlenreihe erkannt und korrekt eingeordnet werden. Wie nun Hirnscans bei Affen belegen, benötigt das Gehirn dafür zwei Schritte. Erst im zweiten erfolgt dabei die Umwandlung ins abstrakte Konzept, wie die Forscher im Fachmagazin „Current Biology“ berichten.

Schon unsere frühen Vorfahren beherrschten das Zählen und schufen sich Zahlensysteme, um Mengen anzugeben. Heute weiß man, dass es in unserem Gehirn sogar eigene Areale für die Verarbeitung von Zahlengrößen gibt – und dass das Gehirn von Mathematikern anders funktioniert als das von Laien.

Ein Phänomen aber ließ sich bisher nicht erklären: die Zahl Null – oder genauer gesagt unsere Fähigkeit, eine leere Menge, ein Nichts als Teil des Zahlenraums zu begreifen. In der Menschheitsgeschichte hat es lange gedauert, bis die Null als Zahl erkannt und geschätzt wurde. Auch Kinder verstehen erst lange nachdem sie zählen gelernt haben, dass auch die Null als Zahl zu sehen ist.

Zahlenspiele für Rhesusaffen

Andreas Nieder und seine Kollegen von der Universität Tübingen haben nun erstmals herausgefunden, wo und wie die Zahl Null im Gehirn verarbeitet wird. Für ihre Studie trainierten die Forscher Rhesusaffen darauf, Punktmengen von Null bis vier zu erkennen und zuzuordnen. Diese Aufgabe ist für die Affen prinzipiell kein Problem, dennoch kommen Fehler vor.

Genau diese Fehler haben die Forscher näher untersucht und dabei eine Auffälligkeit entdeckt: Die Affen ordneten die Bilder mit keinem Punkt wesentlich häufiger der nächsthöheren Kategorie ein zu als den anderen Punktmengen. Nach Angaben der Wissenschaftler spricht dies dafür, dass auch die Affen die Null bereits als Teil ihrer Zahlenreihe sehen und sie dort neben der Eins platzieren.

Der präfrontale Cortex (rot) gilt als Sitz der Impulskontrolle und des rationalen Denkens. © BodyParts3D/ CC-by-sa 2.1 jp

Interpretation in zwei Stationen

Aber was passiert dabei im Gehirn? Um das herauszufinden, zeichneten Nieder und seine Kollegen während dieser Aufgaben die Hirnaktivität der Affen in zwei Arealen auf: dem hinter der Stirn liegenden präfrontalen Cortex und dem Scheitellappen. Beide Hirnareale spielen eine Schlüsselrolle bei der Verarbeitung von Mengen, dabei gilt der präfrontale Cortex als nachgeschaltete, kognitiv übergeordnete Verarbeitungsebene.

Das Ergebnis: „Der Vergleich der beiden Hirnareale zeigte eine erstaunliche Wandlung der Art und Weise, wie leere Mengen neuronal abgebildet wurden“, berichtet Nieder. Denn im Scheitellappen registrierten die Nervenzellen die Abwesenheit von zählbaren Punkten noch als fehlenden visuellen Reiz. Für sie war da einfach ein Nichts ohne quantitative Bedeutung.

Erst das Stirnhirn macht die Null zur Null

Anders dagegen im übergeordneten präfrontalen Cortex: Hier reagierten die Neuronen im Affenhirn ähnlich aktiv wie beim Anblick einer Menge zwischen einem und vier Punkten. Das spricht dafür, dass dieses Hirnareal ein „Nichts“ im Kontext dieser Aufgabe anders betrachtet – als eine leere Menge, die damit in der mentalen Zahlenreihe vor der Eins steht.

„Erst im Stirnlappen wird somit die leere Menge als Wert auf dem Zahlenstrahl abstrahiert“, erklärt Nieder. „Unsere Ergebnisse sprechen für eine Hierarchie in der Verarbeitung: Auf Weg vom Scheitellappen zum präfrontalen Cortex wird die leere Menge nach und nach aus dem rein visuellen Kontext gelöst und in das numerische Kontinuum eingeordnet.“

Dass gerade die Neuronen im präfrontalen Cortex zu diesem Schritt fähig sind, bestätigt die enorme Bedeutung dieses Hirnareals für das abstrakte Denken, wie die Forsche erklären. Denn dieser Hirnbereich gilt als Steuerzentrale für die Kontrolle unserer Impulse und Emotionen und als Sitz unserer Fähigkeit zur Selbstreflektion und zum rationalen Denken. (Current Biology, 2016; doi: 10.1016/j.cub.2016.03.052)

(Universität Tübingen, 25.04.2016 – NPO)

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