Spiegel unserer Urahnen: Unser Aussehen verrät einiges darüber, von welchen urzeitlichen Einwanderern wir unsere Gene geerbt haben. So können helle Augen und braune Haare von Steinzeitjäger-Genen stammen. Ein kräftiger, hoher Wuchs und schwarzes Haar gehen hingegen oft auf Gene bronzezeitlicher Steppennomaden zurück, wie Genvergleiche enthüllen. Helle Haare, eine zierliche Statur und einen eher langsamen Herzschlag verdanken wir wiederum den in der Jungsteinzeit aus Anatolien eingewanderten ersten Bauern.
Europa war zu allen Zeiten ein genetischer und kultureller Schmelztiegel: Schon die allerersten Vertreter des Homo sapiens stammten nicht von hier, sondern wanderten vor rund 45.000 Jahren aus Afrika ein. Von ihnen stammen die die steinzeitlichen Jäger und Sammler unseres Kontinents ab. Ihnen folgten vor rund 7.500 Jahren Einwanderer aus Anatolien, die erstmals die Landwirtschaft nach Europa brachten. In der Bronzezeit vor rund 5.000 Jahren führte der Einstrom von Steppennomaden aus dem Osten zum nächsten Entwicklungsschub – sie bilden die dritte Wurzel der Europäer.
Genetische Spurensuche bei 50.000 Menschen
Doch welche Spuren haben diese gemischten Vorfahren in unserem Erbgut hinterlassen – und welche in unserem Aussehen und unseren Körpermerkmalen? Das hat ein Team um Davide Marnetto von der Universität Tartu erstmals näher untersucht. „Wir wollten wissen, ob ein bestimmtes Merkmal wie helle Augen oder eine Neigung zu einem hohen Blutfettwert damit verknüpft ist, das man in den DNA-Regionen für dieses Merkmal mehr Genvarianten einer bestimmten Herkunftspopulation trägt“, erklärt Marnetto.
Um das herauszufinden, führten die Forschenden einen Genomvergleich bei rund 50.000 Menschen durch, deren DNA-Sequenz in der estnischen Biobank gespeichert ist. Für 27 verschiedene Merkmale, darunter Statur, Haar- und Augenfarbe, Blutwerte, Herzrate und Händigkeit untersuchten sie gezielt, welche Genvarianten an den Genorten für diese Merkmale vorhanden sind. Im letzten Schritt ermittelten Marnetto und sein Team dann, mit welchen Ursprungspopulationen diese Genvarianten am besten übereinstimmen.
Gen-Erbe macht sich in elf Merkmalen bemerkbar
Das Ergebnis: „Die urzeitlichen Populationen, auf die wir Europäer zurückgehen, waren tatsächlich unterschiedlich genug, um ihre Signatur in der Physiologie und dem Aussehen heutiger Menschen zu hinterlassen“, sagt Seniorautor Luca Pagani von der Universität Padua. Für elf der 127 untersuchten Merkmale konnten die Forschenden eine signifikante Korrelation zur Präsenz von Genen einer der urzeitlichen Herkunftspopulationen ermitteln.
Bis heute lässt sich demnach an bestimmten Merkmalen ablesen, ob ein Mensch an den betreffenden Genorten mehr Erbgut von Steinzeitjägern, Steppennomaden oder jungsteinzeitlichen Bauern trägt. Allerdings: Die Merkmale sagen damit nicht aus, dass jemand mehr Steinzeit-Erbgut oder Steppennomaden-Erbgut in sich trägt als andere, wie das Team betont. Stattdessen geben sie Aufschluss darüber, wo diese Gene in unserem Erbgut aktiv sind.
Was kommt woher?
Konkret ergaben die Analysen: Braunes Haar, helle Augen und eine Neigung zu höherem Körpergewicht und breiten Hüften können auf Gene von Steinzeitjägern zurückgehen. Auch für eine höhere Herzrate und eher niedrige Blutfettwerte fand das Team einen Zusammenhang mit diesem steinzeitlichen Erbe. Die Gene der jungsteinzeitlichen Bauern aus Anatolien manifestieren sich dagegen eher in einer zierlichen Figur, hellen Haaren und Augen und einem langsameren Herzschlag.
„Eine Anreicherung von Genen der Yamnaya-Steppennomaden ist wiederum mit einem kräftigen Körperbau und hoher Statur verknüpft“, berichten Marnetto und sein Team. Die Gene dieser bronzezeitlichen Einwanderer fördern zudem schwarze Haare und eine Neigung zu hohen Blutfettwerten. Die Wissenschaftler betonen jedoch, dass diese Zuordnung nicht automatisch bei jedem Menschen in genau dieser Weise besteht.
Wilde Mischung
Diese Ergebnisse unterstreichen erneut, wie vielfältig und gemischt die Abstammung von uns Europäern ist – und wie stark sie von urzeitlichen Einwanderungswellen geprägt wurde. Diese verschiedenen Wurzeln hinterlassen bis heute ihren genetischen und äußerlich sichtbaren Fingerabdruck in unserer Population. Die Merkmale unserer frühen Vorfahren sind demnach trotz späterer Vermischungen und Migrationen erhalten geblieben.
Ähnliches gilt vermutlich auch für die Bevölkerung anderer Kontinente, wie Marnetto erklärt: „Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass Europa eine höhere genetische Vielfalt oder komplexere Wurzeln besitzt als andere Kontinente“, sagt er. Die genetische Basis der Europäer sei bisher einfach nur am besten untersucht. „Es ist daher wichtig, auch mehr Proben aus anderen Teilen der Erde zu untersuchen, um besser zu verstehen, wie die Menschheitsgeschichte die Merkmalsvielfalt der heutigen Menschen geprägt hat.“ (Current Biology, 2022; doi: 10.1016/j.cub.2022.01.046)
Quelle: Estonian Research Council