Ökologische Kaskade: Windparks beeinflussen die Tierwelt in ihrem Umfeld stärker als bisher angenommen. Denn sie wirken nicht nur auf Vögel und Fledermäuse, sondern auf gleich mehrere Ebenen des Nahrungsnetzes, wie nun eine Studie in Indien belegt. Dort vermehren sich Echsen in Windanlagen besonders gut, weil ihre natürlichen Feinde, die Greifvögel fehlen. Bei uns könnten dadurch Kleinsäuger wie Mäuse häufiger werden. Bisher jedoch werden solche indirekten Effekte bei der Planung von Windparks nicht berücksichtigt.
Die Windkraft gehört zu den besonders schnell wachsenden erneuerbaren Energien. Schon jetzt werden rund 17 Millionen Hektar Land zur Gewinnung von Windenergie genutzt – und pro Jahr kommen rund 500.000 Megawatt an installierter Leistung hinzu. Doch so klimafreundlich die Windparks sind, so umstritten sind ihre ökologischen Auswirkungen. Denn die Windparks erweisen sich als Todesfalle für Vögel und Fledermäuse. Andererseits scheinen zumindest einige Tierarten wie die Seehunde durchaus von Offshore-Windparks zu profitieren.
Viermal weniger Greifvögel
Doch die ökologischen Effekte von Windparks gehen noch weit darüber hinaus, wie nun Maria Thaker und ihr Team vom Indischen Institut für Wissenschaft in Bangalore herausgefunden haben. Für ihre Studie hatten sie die Tierwelt zweier benachbarter Gebiete auf einem Plateau im artenreichen Westghat-Gebirge verglichen. Auf einer Fläche standen seit 16 bis 20 Jahren Windanlagen, auf der anderen, vom Habitattyp nahezu identischen Fläche dagegen nicht.
Es zeigte sich: In dem Windpark-Areal gab es fast viermal weniger Greifvögel als auf der Vergleichsfläche ohne Windräder. Offensichtlich hatten die fliegenden Räuber gelernt, die gefährlichen Rotoren der Windräder großräumig zu meiden. „Und auch die Zahl der Angriffe von Greifvögeln auf ihre am Boden lebende Beute war deutlich geringer“, berichten die Forscher. Beides ist angesichts der bekannten Wirkung von Windparks auf Vögel und Fledermäuse nicht unbedingt unerwartet.
Echsen als Profiteure
Das Neue aber war die Auswirkung dieses Greifvogelschwunds auf andere Tiere in diesem Gebiet: Weil ihre Fressfeinde durch die Windräder weniger geworden waren, profitierten die in dieser Region heimischen Fächerkehlen-Echsen (Sarada superba): „Ihre Dichte war an den Standorten mit Windanlagen signifikant höher“, berichten Thaker und ihre Kollegen. Ihrer Ansicht nach bestätigt dies, dass Windparks sich nicht nur auf eine Ebene des lokalen Nahrungsnetzes auswirken, sondern über die Räuber-Beute-Beziehungen auch auf weitere.
Aber nicht nur das: „Die Echsen zeigten auch Unterschiede in ihrer Physiologie, ihrem Verhalten und sogar ihrer Morphologie“, berichten die Forscher. So hatten die Echsen im Windpark deutlich niedrigere Stresshormon-Werte und waren weniger scheu: Sie zeigten eine fünfmal geringere Fluchtdistanz als normalerweise, wie die Wissenschaftler feststellten.
Eine Kaskade von Effekten
Zwar haben die Forscher bisher nur zwei Ebenen der Nahrungskette – Greifvögel und ihre Beute – untersucht. Sie vermuten aber, dass auch die weiteren Ebenen, beispielweise die Insekten und Würmer, die von den Echsen gefressen werden, entsprechend beeinflusst werden. „Windparks können ökologische Gemeinschaften damit auf Weisen beeinflussen, die unerwartet und komplex sind“, so Thaker und ihre Kollegen.
„Windparks haben Auswirkungen, die bisher weit unterschätzt worden sind“, konstatieren die Forscher. „Wir haben mehrere Belege dafür gefunden, dass es eine ganze Kaskade von trophischen Effekten dieser grünen Energie gibt.“ Diese indirekten Effekte werden jedoch bisher bei der Wahl von Windpark-Standorten nicht berücksichtigt – und auch nicht gezielt untersucht.
Auf Deutschland übertragbar
Deutsche Forscher sehen hier durchaus Parallelen zu Windparks in Deutschland: „Prinzipiell sind die Erkenntnisse dieser Studie auch auf Habitate in den gemäßigten Zonen in Europa oder Nordamerika übertragbar“, kommentiert Reinhard Klenke vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ). Statt der Echsen wären dann hierzulande eher Kleinsäuger wie Feld- und Erdmäuse sowie Hamster betroffen. In trockeneren, südlicheren Lebensräumen könnten auch Eidechsen und Schlangen davon profitieren, dass Greifvögel die Windparks meiden.
Hinzu kommt, dass Windanlagen auch nichtbiologische Faktoren an ihren Standorten beeinflussen. So erzeugen sie Turbulenzen, die das lokale Klima verändern und den Wind abschwächen. Gleichzeitig nimmt die Verdunstung zu und Niederschläge leicht ab. Wie diese abiotischen Veränderungen die Lebenswelt in und um die Windparks beeinflussen, ist bisher ebenfalls kaum untersucht. (Nature Ecology & Evolution 2018; doi: 10.1038/s41559-018-0707-z)
(Nature, 06.11.2018 – NPO)