Neurobiologie

„Winterschlaf“ auch für Menschen möglich?

Ultraschallimpulse können Nagetiere künstlich in den Energiesparmodus versetzen

Gehirn mit Ultraschallwellen
Nagetiere lassen sich mithilfe von Ultraschall sicher und nicht-invasiv in einen winterschlafähnlichen Zustand versetzen. © Chen Laboratory, Washington University in St. Louis

Ruhemodus per Knopfdruck: Wissenschaftlern ist es gelungen, Mäuse und Ratten gezielt in einen winterschlafähnlichen Zustand zu versetzen. Mit nicht-invasiven Ultraschallimpulsen aktivierten sie im Hirn der Nager spezielle Nervenzellen, die daraufhin Körpertemperatur und Stoffwechselaktivität herunterregelten. Möglicherweise lässt sich dieser reversible Ruhemodus auch bei uns Menschen auslösen. Denkbare Einsatzmöglichkeiten wären medizinische Notfälle oder die bemannte Langstrecken-Raumfahrt.

Einige Säugetiere und Vögel können sich gezielt in den sogenannten Torpor versetzen, einen winterschlafähnlichen Zustand, der Stoffwechsel und Körpertemperatur herunterfährt. Das spart Energie und lässt sie auch harsche Bedingungen wie extreme Kälte oder Nahrungsmangel überleben. Zu den Tieren mit Torpor-Fähigkeit zählen zum Beispiel Hamster und Fledermäuse. Doch auch für uns Menschen wäre der eingebaute Energiesparmodus von Vorteil. Er könnte uns dabei helfen, lebensbedrohliche Krankheiten zu überstehen oder lange Strecken im Weltraum zurückzulegen.

Ultraschallmützen für Mäuse

Forschende um Yaoheng Yang von der Washington University in St. Louis sind dem menschlichen Torpor, der lange Zeit als Science-Fiction galt, nun womöglich einen großen Schritt nähergekommen. Denn mittlerweile ist klar, welche Hirnregion bei Mäusen den Ruhemodus auslöst und das ermutigte Yang und seine Kollegen wiederum dazu, diese künstlich und vor allem nicht-invasiv zu aktivieren. Die ersten Tests dieser Art führten sie an Mäusen durch, die auch von Natur aus in den Torpor fallen, wenn harsche Umweltbedingungen sie dazu zwingen.

Um diesen Zustand quasi auf Knopfdruck und ohne Nahrungsmangel auszulösen, schnallten die Forschenden den Tieren eigens dafür entwickelte Ultraschallsender auf den Kopf. Die Mäuse konnten sich damit auch weiterhin frei bewegen. Das Team löste daraufhin einen zehnsekündigen Ultraschallimpuls aus, der auf den präoptischen Bereich des Hypothalamus abzielte, eine Hirnregion, die der Regulierung der Körpertemperatur und des Stoffwechsels dient.

Künstlich in torpor-ähnlichen Zustand versetzt

Das Ergebnis: Der Ultraschallimpuls senkte die Körpertemperatur der Mäuse umgehend um durchschnittlich 3 bis 3,5 Grad Celsius, wie Yang und seine Kollegen berichten. Außerdem verringerte sich die Herzfrequenz um etwa 47 Prozent und auch der Sauerstoffverbrauch sank. Der Stoffwechsel der Mäuse veränderte sich ebenfalls. Zur Energiegewinnung verbrannte er nun ausschließlich Fett, ein Hauptmerkmal des Torpors.

Maus beim Torpor
Eine Versuchsmaus mit Ultraschallsender zu vier Zeitpunkten: Vor dem Ultraschallimpuls sowie drei, 13 und 70 Minuten danach. Die obere Leiste zeigt, wie sich ihre Temperatur währenddessen verändert hat. © Yang et al./ Nature Metabolism /CC-by 4.0

Diese Kombination von Merkmalen spricht nach Angaben der Forschenden dafür, dass die Ultraschallreize die Mäuse vorübergehend in einen torpor-ähnlichen Zustand versetzt hatten. Der künstlich induzierte Winterschlaf dauerte rund eine Stunde lang an. Analysen der Hirnaktivität zeigten, dass der Ultraschallreiz eine deutlich erkennbare Reaktion bei einer Gruppe von Neuronen im präoptischen Areal des Hypothalamus auslöste: Sie erhöhten ihre Aktivität.

„Die transkraniale Stimulation des präoptischen Areals reichte aus, um die ultraschallinduzierte Hypothermie und Stoffwechselabsenkung hervorzurufen“, sagt Yang. „Dies bestätigt die entscheidende Rolle dieses Areals für die Orchestrierung eines torpor-ähnlichen Zustands bei den Mäusen.“

Wiederholte Pulse verlängern den Torpor

Durch die Ultraschallreize ließ sich auch die Dauer und Tiefe des künstlichen Winterschlafs gezielt steuern. Dafür kombinierten die Forschenden den Ultraschallsender mit einem automatisierten System. Dieses konnte feststellen, wenn die Körpertemperatur der Nager wieder anstieg, und löste dann einen weiteren Ultraschallimpuls aus, um den torpor-ähnlichem Zustand zu erhalten. Insgesamt gelang es dem Team, die Mäuse 24 Stunden lang im Ruhemodus zu halten, ohne dass sie den Tieren dabei sichtlich Schäden oder Unbehagen zufügten.

Yang und seine Kollegen konnten außerdem das Molekül identifizieren, das den Torpor im Gehirn auslöst. Messungen der Neuronenaktivität und genetische Sequenzierung enthüllten, dass der Ultraschall sogenannte TRPM2-Ionenkanäle in den Nervenzellen des präoptischen Bereiches aktiviert. Die Forschenden gehen davon aus, dass diese Kanäle essenziell für das Absenken von Körpertemperatur und Stoffwechselaktivität sind. Wie genau sie das anstellen, ist aber noch unklar.

Torpor auch bei Menschen möglich?

„Eine berechtigte Frage ist jedoch, ob die ultraschallindizierte Hypothermie und Stoffwechselabsenkung von Mäusen auch auf Menschen übertragbar ist“, konstatieren Yang und sein Team. Denn anders als die Mäuse fallen wir von Natur aus weder in den Torpor noch in den Winterschlaf. Um diese Frage zu beantworten, wiederholten die Forschenden das gleiche Experiment mit Ratten, die ebenfalls keinen Torpor kennen.

Das Ergebnis: Auch bei den Ratten sank die Kerntemperatur nach der Ultraschallstimulation um ein bis zwei Grad. „Das Ausmaß der Temperaturabsenkung war bei den Ratten zwar geringer als bei den Mäusen, aber diese Daten demonstrieren, dass ultraschallinduzierte Hypothermie und Stoffwechselabsenkung auch bei einem Tier ohne natürlichen Torpor möglich ist“, schreiben die Wissenschaftler. „Das deutet darauf hin, dass ein ähnlicher Effekt auch beim Menschen induziert werden könnte.“

Anwendungen in Medizin und Raumfahrt

Nach Ansicht von Yang und seinem Team könnte die ultraschallinduzierte Hypothermie und Stoffwechselabsenkung den lange gesuchten Weg eröffnen, einen winterschlafähnlichen Zustand beim Menschen auf sichere und nicht-invasive Weise zu erreichen. „Dieses Ziel wird schon mindestens seit den 1960er Jahren verfolgt“, erklären sie. Bisher habe man jedoch vor allem pharmakologische Wege dafür getestet, die wenig spezifisch wirkten und teils erhebliche Nebenwirkungen besaßen.

Den Torpor mittels Ultraschall nicht-invasiv auszulösen, könnte zahlreiche neue Möglichkeiten eröffnen. „Torpor-ähnliche Körperaktivität könnte die Überlebenswahrscheinlichkeit von Patienten unter lebensbedrohlichen Bedingungen (zum Beispiel Herzinfarkt oder Schlaganfall) erhöhen, indem sie den Stoffwechsel und das Fortschreiten der Krankheit verlangsamt“, erklären die Forschenden. Auch bei Langzeit-Raumflügen zu Planeten wie dem Mars ließe sich der Torpor einsetzen, um den Energieverbrauch der Besatzung zu senken. (Nature Metabolism, 2023; doi: 10.1038/s42255-023-00804-z

Quelle: Washington University in St. Louis

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