Neurobiologie

Wir riechen Ekliges schneller

Riechkolben löst bei potenziell gefährlichen Gerüchen eine unbewusste Abwehrreaktion aus

Riechhirn
Wenn wir einen Geruch wahrnehmen, ist der hinter der Nase sitzende Riechkolben der erste Gehirnteil, der diese Signale verarbeitet. © pixologicstudio/ Getty images

Sensorisches Frühwarnsystem: Unser Geruchssinn reagiert auf unangenehme Gerüche schneller und anders als auf angenehme, wie ein Experiment enthüllt. Demnach feuern Neuronen im Riechkolben bei Verwesungsgerüchen schon nach rund 150 Millisekunden und alarmieren auch den Motorcortex. Dies resultiert in einem unwillkürlichen Zurückzucken – einer Schutzreaktion, die demnach tief in unserer Biologie verankert ist, wie das Forschungsteam berichtet.

Der Geruchssinn ist einer der evolutionär ältesten Sinne des Menschen und deshalb besonders eng mit grundlegenden Aspekten unserer Biologie verknüpft. Düfte können bestimmte Gefühle auslösen, Erinnerungen wachrufen und sogar unsere Träume beeinflussen. Auch bei der Partnerwahl könnten Gerüche eine Rolle spielen, auch wenn das Ausmaß ihres Einflusses noch strittig ist.

Blick in den Riechkolben

Doch es gibt noch eine wichtige Funktion unseres Geruchssinns: Wie bei den meisten Tieren trägt er dazu bei, uns vor potenziellen Gefahren zu warnen – wir empfinden Ekel und schrecken unwillkürlich zurück. Diese Reaktion auf einen Geruch nach Verwesung oder Krankheit kann beispielsweise dafür schützen, sich anzustecken oder einem Raubtier in die Fänge zu geraten. Doch welche neuronalen Mechanismen diese Ekelreaktion steuern, war bislang unklar.

Was beim Riechen verschiedener angenehmer und unangenehmer Gerüche im Gehirn passiert, haben nun Behzad Iravani vom Karolinska Institut in Stockholm und seine Kollegen erstmals genauer untersucht. Dafür analysierten sie mithilfe am Kopf und über den Augenbrauen ihrer Probanden befestigten Elektroden vor allem die Reaktion des Riechkolbens, der ersten Verarbeitungsstation jedes Riechreizes auf dem Weg von der Nase ins Gehirn.

Für ihr Experiment ließen die Forscher ihre Testpersonen abwechselnd an neutralen, unangenehmen und angenehmen Düften schnuppern und zeichnete dabei auf, wann und wie die Neuronen des Riechkolbens darauf reagierten.

Schnelleres Feuern bei ekligen Gerüchen

Das Ergebnis: Anders als bislang gedacht reagiert schon der Riechkolben und damit die erste „Empfangsstation“ für Riechreize unterschiedlich auf positive und negative Duftsignale. Rochen die Testpersonen einen unangenehmen Geruch, feuerten die Neuronen im Riechkolben schon nach 50 bis 200 Millisekunden und erzeugten einen charakteristischen Schub von Betawellen. Angenehme Düfte dagegen lösten erst nach rund 800 Millisekunden eine Reaktion aus, wie die EEG-Messungen ergaben.

„Negative Gerüche scheine demnach schon im Riechkolben privilegiert verarbeitet zu werden“, schreiben Iravani und sein Team. „Das deutet darauf hin, dass es eine der ersten Aufgaben des Riechkolbens ist, frühe geruchsbasierte Warnsignale zu detektieren und zu verarbeiten.“

Warnung an den Motorcortex

Und nicht nur das: Wie das Team feststellte, sendet die Riechkolben direkt nach der Wahrnehmung eines potenziell gefährlichen Geruchs auch eine Warnung an den motorischen Cortex, den Hirnteil, der unsere Bewegungen steuert. Je unangenehmer ein Geruch ist, desto stärker fällt das Signal an den Motorcortex aus. „Wir haben daher vermutet, dass diese Frühwarnung der Vorbereitung auf eine schnelle Abwehrreaktion dient“, erklären die Forscher. Eine solche instinktive Reaktion, beispielsweise in Form des Zurückschreckens, ist von vielen Tieren bekannt.

Ob auch der Mensch eine solche unwillkürliche Schreckreaktion zeigt, haben Iravani und sein Team überprüft, indem sie ihre Testpersonen beim Riechtest auf einer mit Drucksensoren verknüpften Platte stehen ließen. Tatsächlich registrierten die Sensoren eine schwache, aber signifikante Verlagerung des Körpergewichts nach hinten, sobald die Testperson einen unangenehmen Geruch eingeatmet hatte. „Das Signal führte dazu, dass sich die Person unbewusst nach hinten lehnte und damit der Geruchsquelle auswich“, erklärt Iravanis Kollege Johan Lundström.

Instinktiver als andere Sinne

Nach Ansicht des Forscherteam belegen diese Ergebnisse, dass schon der Riechkolben zwischen potenziell gefährlichen und harmlosen Gerüchen differenziert und entsprechend unterschiedlich reagiert. „Die menschliche Abwehrreaktion auf unangenehme und eine potenzielle Gefahr anzeigende Gerüche galt lange als bewusster, kognitiver Prozess“, sagt Iravani. „Aber unsere Studie belegt nun zum ersten Mal, dass diese Reaktion unbewusst ist und extrem schnell abläuft.“

Gleichzeitig bestätigen die Ergebnisse auch, dass der Riechsinn tief in unserer Biologie und unseren tierischen Wurzeln verankert ist. Denn anders als beim Hören und Sehen laufen viele Prozesse bei der Geruchswahrnehmung instinktiv ab. „Unser Geruchssinn ist wichtig, um Gefahren in unserer Umwelt wahrzunehmen, und ein Großteil dieser Fähigkeit ist unbewusster als bei unserer visuellen oder akustischen Reaktion auf Gefahren“, erklärt Iravani. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2021; doi: 10.1073/pnas.2101209118)

Quelle: Karolinska Institutet

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