Virale Untermieter: Überall in unserem Körper tummeln sich unzählige Phagen. Diese auf Bakterien spezialisierten Viren können aus dem Darm problemlos ins Blut und andere Organe wandern, wie eine Studie nun zeigt. Denn sie sind dazu in der Lage, die Zellen von Epithelschichten zu durchqueren und so ins Gewebe zu gelangen. Über diesen Weg strömen jeden Tag geschätzte 30 Milliarden Phagen aus dem Darm in unseren Körper – und erweisen uns möglicherweise nützliche Gesundheitsdienste.
Der Mensch ist nie allein: Überall in und auf uns leben winzige Organismen – ob im Darm, auf unserer Haut oder in unserer Nase. Zu diesen oft nützlichen Untermietern zählen beispielsweise Bakterien, Amöben und Pilze. Und offenbar auch Milliarden von Phagen, wie sich nun zeigt.
Diese auf Bakterien spezialisierten Viren gehören zu den zahlreichsten Organismen auf unserem Planeten und kommen vom Ozeanwasser bis hin zum Erdboden praktisch überall vor. In unserem Körper haben Wissenschaftler die Bakteriophagen unter anderem bereits im Blut, der Lymphflüssigkeit und in diversen Organen entdeckt. Doch wie sie dort hineingelangen und wie viele von ihnen den Menschen besiedeln, war bislang völlig unklar.
Ausgangspunkt Darm
Sophie Nguyen von der San Diego State University und ihre Kollegen haben sich diesen Fragen nun gewidmet. Die Forscher hatten herausgefunden, dass Phagen besonders häufig in Schleimschichten vorkommen, die unsere Darmwand schützen. Sie wollten wissen: Können die Phagen diesen Mucus durchwandern und aus dem Darm möglicherweise auch in andere Bereiche des Körpers vordringen?
Um das zu überprüfen, führten sie eine Reihe von Experimenten mit menschlichen Epithelzellen durch. Solche Zellen bilden eine schützende Schicht um alle inneren und äußeren Körperoberflächen – zum Beispiel bedecken sie den Darm, die Lunge und die Kapillaren.
Alltägliche Massenwanderung
Es zeigte sich: Tatsächlich nehmen die Zellen dieser Grenzschichten kontinuierlich Phagen auf und transportieren sie auf die andere Seite. Wie genau dieser Transportmechanismus vonstatten geht, wissen Nguyen und ihre Kollegen zwar nicht. Sie konnten aber nachweisen, dass jedes Virus die Epithelschicht innerhalb von nur wenigen Minuten durchquert.
Ihren Schätzungen zufolge bedeutet das: Aus dem Darm eines durchschnittlichen Menschen könnten jeden Tag rund 30 Milliarden Phagen in den Körper wandern und sich dort im Blut, der Lymphe und in anderen Organen verteilen. Demnach könnte ein Großteil unseres körpereigenen Mikrobioms aus einem „Phageom“ bestehen.
Gesundheitsfördernde Viren?
„Bisher ging man davon aus, dass Phagen nicht mit eukaryotischen Zellen interagieren“, sagte Nguyens Kollege Jeremy Barr dem Fachmagazin „Science“. Das habe sich nun jedoch als falsch herausgestellt. Er geht davon aus, dass uns die Viren in unserem Körper nützliche Dienste erweisen – und zum Beispiel unser Immunsystem positiv beeinflussen könnten.
Tatsächlich deuten erste Studien auf solche Zusammenhänge hin. Bis wir die Rolle dieser Viren für unsere Gesundheit jedoch vollständig verstanden haben, kann es den Forschern zufolge noch einige Zeit dauern. (mBio, 2017; doi: 10.1128/mBio.01874-17)
(mBio/ Science News, 27.11.2017 – DAL)