Paläontologie

Wurzeln des aufrechten Gangs umgekrempelt

Vegetationswechsel vor 21 Millionen Jahren widerlegt gängige Theorie zur Hominoiden-Evolution

Urzeit-Landschaft
Die ersten Vertreter der Menschenaffenartigen entwickelten sich vor gut 20 Millionen Jahren nicht im dichten Regenwald, sondern in einer eher offenen Landschaft. © Corbin Rainbolt

Savanne statt Regenwald: Die Vorfahren der Menschenaffen und Menschen entwickelten sich offenbar doch nicht im dichten Regenwald. Denn schon vor 21 Millionen Jahren dominierte in Ostafrika eine offene, abwechslungsreiche Landschaft – zehn Millionen Jahre früher als gedacht. Die ersten Hominoiden entwickelten demnach ihre Voranpassungen für eine aufrechte Haltung und den zweibeinigen Gang auf andere Weise und in anderer Umgebung als nach gängiger Theorie angenommen, wie Forschende in „Science“ berichten.

Der aufrechte Gang ist ein prägendes Merkmal des Menschen – erst durch ihn bekamen unsere Vorfahren die Hände frei für die intensive Nutzung von Werkzeugen. Nach gängiger Annahme geht die aufrechte Haltung schon auf Voranpassungen bei den gemeinsamen Vorfahren der Menschenaffen und Menschen zurück. So konnte beispielsweise der frühe Menschenaffe Danuvius guggenmosi vor 11,9 Millionen Jahren bereits aufrecht stehen und gehen, wie seine Fossilien belegen.

Führte der Griff nach Früchten zum aufrechten Rücken?

Doch wie und wo die ersten Menschenaffenartigen (Hominoiden) ihre aufrechte Haltung entwickelten, ist strittig. Die bisher gängigste Theorie dazu besagt, dass der Ursprung des starken, aufrechten Rückens im dichten tropischen Regenwald liegt: Die frühen Menschenaffen konnten besser an reife Früchte an den Zweigenden heranreichen, wenn sie aufrecht auf den Hinterbeinen stehend auf den Ästen balancierten. Auch das Hangeln von Ast zu Ast könnte die aufrechte Haltung gefördert haben.

Dazu schien zu passen, dass Ostafrika in der Entstehungszeit der ersten Hominoiden noch dicht bewaldet war. Erst vor sieben bis zehn Millionen Jahren veränderte sich das Klima und der Regenwald wich einer offeneren, von grasreichen Savannen durchsetzten Landschaft – so jedenfalls dachte man bisher.

REkonstruktion
Anhand der Daten rekonstruierte Vegetation an den neun Probenstellen: Offene Landschaften entstanden schon früh. © Dan Peppe

Gelichtete Wälder schon vor 21 Millionen Jahren

Doch dies ist ein Irrtum, wie Daniel Peppe von der Baylor University in Texas und sein Team entdeckt haben. Dafür hatten sie fossile Bodenproben von neun Standorten in Ostafrika untersucht. Die analysierten Schichten stammten aus der Zeit vor zehn bis 20 Millionen Jahren. Durch Analysen der Kohlenstoff-Isotope in organischem Material, in konservierten Pflanzenwachsen und in winzigen Biosilikat-Körnchen des fossilen Pflanzenmaterials konnte das Team rekonstruieren, welche Vegetation es damals in Ostafrika gab.

Das überraschende Ergebnis: Schon vor rund 17 bis 21 Millionen Jahren war das äquatoriale Ostafrika kein geschlossener Regenwald mehr. Stattdessen gab es damals schon offene Landschaften, in denen C4-Pflanzen wie Gräser dominierten. „Dies verschiebt die frühesten Belege für grasreiche Habitate in Afrika – und global – um mehr als zehn Millionen Jahre in die Vergangenheit“, konstatieren Peppe und sein Team.

Das bedeutet: Die ersten Vertreter der Hominoiden lebten wahrscheinlich nicht mehr im dichten Regenwald, sondern in einer abwechslungsreichen Landschaft, in der es Waldstücke, Buschland und savannenähnliche offene Bereiche gab.

Spurensuche beim ältesten Urzeit-Menschenaffen

Dass dies tatsächlich so war, belegt die zweite Studie zu diesem Thema. In ihr haben Laura MacLatchy von der University of Michigan und ihre Kollegen sich einen der Probenstandorte näher angeschaut – die bekannte Fossilfundstätte Moroto in Uganda. Dort wurden die Relikte eines der ältesten bekannten Menschenaffenartigen entdeckt, des Morotopithecus bishopi. Sein Skelett zeigt bereits Merkmale der für Menschenaffen typischen aufrechten Haltung.

„Unsere Erwartung war: Wir haben hier einen Affen mit aufrechtem Rücken, daher muss er im Wald gelebt und Früchte gefressen haben“, sagt MacLatchy. Hinzu kam, dass Morotopithecus den Datierungen der Forschenden zufolge vor rund 21 Millionen Jahre lebte – gängiger Theorie nach war dies eine von Regenwald geprägte Zeit. Doch aus dem Fossil und seiner Umgebung gewonnen Informationen zeichnen nun ein völlig anderes Bild.

Landschaft in Moroto
Habitat der ersten Menschenaffenartigen nach gängiger Vorstellung (A) und nach den neuen Erkenntnissen aus Moroto. © J. Kingston, W. Lukens, J. Klausmeyer

Blätter und Gras statt Früchte

„Die erste Überraschung war, dass dieser Menschenaffe Blätter statt Früchten aß“, sagt MacLatchy. Indiz dafür waren die Backenzähne von Morotopithecus, die eine stark strukturierte Oberfläche mit vielen Furchen und Spitzen aufwiesen. „Solche Backenzähne sind typisch für Tiere, die harte, faserige Blätter zerreißen müssen“, erklärt die Paläoanthropologin. „Die Molare von Früchtefressern sind dagegen stärker abgerundet.“

„Die zweite Überraschung war, dass Morotopithecus in lichten, offenen Wäldern lebte“, berichtet MacLatchy. Denn wie schon das Team um Peppe ermittelten auch MacLatchy und ihre Kollegen anhand der Isotopenwerte und Biosilikate, dass die Landschaft rund um Moroto vor rund 21 Millionen Jahren schon kein reiner Regenwald mehr war. Stattdessen gab es dort schon C4-Pflanzen in Form von Gräsern und Hinweise auf saisonale Trockenperioden. Auch im Zahnschmelz des fossilen Menschenaffen zeigte sich diese Isotopenwerte.

Neuer Blick auch auf Evolution des Menschen

Beide Studien zusammen belegen damit, dass die ersten Menschenaffen in einer anderen Umgebung und auf andere Weise entstanden als bisher angenommen. Statt im dichten Regenwald nach Früchten zu hangeln, lebten die frühen Hominoiden schon vor gut 20 Millionen Jahren in einer eher offenen Landschaft. In ihr gab es bereits grasreiche Stellen und das Klima muss zumindest zeitweise trocken gewesen sein. Dies wirft neues Licht auf den Ursprung der aufrechten Haltung bei den Menschenaffenartigen.

Gleichzeitig stellt dies auch gängige Vorstellung zur Evolution der Vormenschen und des zweibeinigen Gangs in Frage. Nach diesen förderte erst der Wechsel vom Wald zur offenen Savanne das Gehen auf zwei Beinen. „Nachdem wir nun wissen, dass die offenen Landschaften schon zehn Millionen Jahre vor dem zweibeinigen Gang existierten, müssen wir auch bei den Ursprüngen des Menschen umdenken“, sagt MacLatchy. (Science, 2023; doi: 10.1126/science.abq2834; doi: 10.1126/science.abq2835)

Quelle: Science, University of Michigan

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