Auch die Neandertaler waren bereits überwiegend Rechtshänder. Das bestätigen jetzt auch Untersuchungen an Zähnen und Skelettteilen der ausgestorbenen Menschenart. Kratzspuren deuten darauf hin, dass die Frühmenschen ihre Nahrung mit der rechten Hand zum Mund führten. Das berichtet ein internationales Forscherteam im Fachmagazin „PloS ONE“. Die Rechtshändigkeit der Neandertaler lege nahe, dass auch bei ihnen die Aufgaben der beiden Gehirnhälften bereits asymmetrisch aufgeteilt waren.
Etwa neunzig Prozent aller heutigen Menschen benutzen zum Schreiben, Essen oder Schneiden die rechte Hand. Virginie Volpato vom Senckenberg Forschungsinstitut in Frankfurt und ihre Kollegen haben nun herausgefunden, dass auch Neandertaler überwiegend Rechtshänder waren. „Es gab schon früher Hinweise darauf, dass Neandertaler vorrangig die rechte Hand benutzt haben“, erklärt Volpato. „Grundlage hierfür war die verstärkte Muskulatur am rechten Arm der Spezies. Wir haben nun erstmals eine umfassende Analyse der Arme und Schultern durchgeführt und diese mit Kratzspuren an den Zähnen verglichen.“
Verräterische Kratzspuren am Zahnschmelz
Das von den Wissenschaftlern untersuchte Skelett eines etwa zwanzigjährigen, vermutlich männlichen Neandertalers wurde 1957 im französischen Le Régourdou entdeckt, nicht weit von der berühmten Höhle von Lascaux. Der Unterkiefer des Neandertalers besitzt sämtliche Zähne, die gut erhalten sind. „Erstaunlich gut“, meint die Frankfurter Wirbeltier-Paläontologin. „Bedenkt man, dass Neandertaler ihre Zähne häufig als eine Art ‚Dritte Hand‘ nutzten, um Werkzeug oder Nahrung zu handhaben.“ Dieser rüde Umgang mit dem Kauwerkzeug führte zu einem Verschleiß der vorderen Zähne und charakteristischen Kratzspuren.
„Die Winkel der Spuren zeigen uns, welche Hand zum Greifen der Nahrungsmittel genutzt wurde“, ergänzt Volpato. Die schrägen Kratzspuren von rechts oben nach links unten überwiegen dabei deutlich. Dies deutet daraufhin, dass der untersuchte Neandertaler – wie auch die meisten seiner Verwandten – Rechtshänder war. Unterstützt wird diese These durch Analysen an den Arm- und Schulterknochen.
Händigkeit ist ein Zeichen für die sogenannte Lateralisation des Gehirns – die Trennung der linken und rechten Gehirnhälfte und die Steuerung der jeweils gegenüberliegenden Körperhälfte. Das Sprachzentrum des heutigen Menschen liegt meistens in der linken Gehirnhälfte. „Die seit langem bekannte Verbindung zwischen Gehirnasymmetrie, Händigkeit und Sprache dient uns als Grundlage für eine Abschätzung der Sprachentwicklung bei den Neandertalern“, sagt Volpato. Die Rechtshändigkeit der fossilen Menschenverwandten deute auf ein modernes Muster der linken Gehirnhälfte hin.
„Aufgrund dieser Dominanz und anderen Beweismitteln, wie archäologischen Funden und DNA-Analysen, gehen wir davon aus, dass Neandertaler die Fähigkeit zur Sprache hatten“, schließt Volpato. Gut möglich, dass die vor rund 30.000 Jahren ausgestorbenen Neandertaler sich wie heutige Menschen unterhalten haben, während sie mit der rechten Hand Werkzeuge nutzten. (PloS ONE, 2012; doi:10.1371/journal.pone.0043949)
(Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen, 14.09.2012 – NPO)