Beam me up, Scotty! Zecken gelangen nicht nur über direkten Kontakt mit Haut oder Fell auf ihre Wirte – sie können auch „fliegen“. Denn elektrostatische Aufladungen machen Mensch und Tier buchstäblich anziehend für die achtbeinigen Blutsauger. Durch die statische Anziehung können Zecken mehrere Millimeter bis Zentimeter „fliegend“ zurücklegen und so auf ihre Wirte überspringen. Diese Erkenntnisse könnten zu neuen Formen der Zeckenabwehr führen, zum Beispiel in Form antistatischer Sprays.
Zecken können beim Blutsaugen einige gefährliche Krankheiten übertragen, darunter die Lyme-Borreliose und die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME). Der Klimawandel führt außerdem dazu, dass sich hierzulande immer mehr eingeschleppte Arten wie die Buntzecken oder die Braune Hundezecke ansiedeln, die weitere Krankheiten wie Fleck- und Q-Fieber übertragen können. Umso wichtiger ist es daher, sich vor einem Zeckenbefall und deren Biss zu schützen.
Unsichtbare Kräfte als Zeckenmagnet?
Forschende um Sam England von der University of Bristol haben nun einen Mechanismus entdeckt, der die Zeckenabwehr revolutionieren könnte. Das Team hat dafür untersucht, wie Zecken auf den Körper ihres Wirtes gelangen. Da sie nicht springen können, ging man bisher davon aus, dass Tiere und Menschen sie entweder aus Versehen von Grashalmen oder niedrigem Gebüsch abstreifen oder die Zecke vom Boden aus an ihrem Wirt hochkrabbelt, wenn dieser länger irgendwo stehenbleibt.
Doch England und seine Kollegen vermuten schon länger einen weiteren Mechanismus, den sie nun im Labor überprüft haben. Ihnen zufolge könnte es sein, dass Zecken mittels passiver elektrostatischer Anziehung auf ihren Wirt katapultiert werden. Durch die anziehende Wirkung elektrischer Felder werden die Blutsauger in die Luft gehoben und landen auf dem Körper der Wirte. Eine solche elektrostatische Aufladung erfolgt bei uns Menschen beispielsweise, wenn wir über einen Teppichboden schlurfen oder einen Luftballon durch unsere Haare reiben.
„Aber diese elektrostatische Aufladung geschieht auch bei Tieren in der Natur, wenn sie an Gegenständen in ihrer Umgebung wie Gras, Sand oder anderen Tieren reiben. Diese Aufladungen sind erstaunlich stark und können Hunderten, wenn nicht Tausenden von Volt entsprechen – mehr als Sie zu Hause aus Ihren Steckdosen herausbekommen“, erklärt England. Könnte es also sein, dass die elektrostatische Anziehungskraft die Zecken wie mit einem Traktorstrahl durch die Luft fliegen und auf ihrem Wirt landen lässt?
Kaninchenfell und Elektroden
Um diese Idee zu überprüfen, brachten die Forschenden in einem Laborsetting zunächst elektrisch aufgeladene Kaninchenfelle in die Nähe von Zecken und beobachteten, ob sie von ihnen angezogen wurden. Und tatsächlich: Das geladene Fell katapultierte die Zecken über Distanzen von mehreren Millimetern bis Zentimetern hinweg auf das Fell des simulierten Wirtes. Englands Team zufolge wären solche Distanzen in Bezug auf die Körpergröße von uns Menschen mit der Höhe eines mehrstöckigen Gebäudes vergleichbar.
Um herauszufinden, welchen Schwellenwert eine elektrostatische Ladung erreichen muss, um eine Zecke durch die Luft zu katapultieren, tauschten England und sein Team das Kaninchenfell in einem zweiten Schritt gegen eine regelbare Elektrode. Indem sie deren Ladung schrittweise erhöhten, konnten sie die minimale elektrische Feldstärke bestimmen, bei der Zecken angezogen werden.
Bereits wenige Volt reichen aus
Das Ergebnis: Im Schnitt muss die elektrische Feldstärke bei mindestens 258 Kilovolt pro Meter liegen, um als „Zeckenmagnet“ zu fungieren. „Dieser Schwellenwert ermöglicht eine Hochrechnung auf kleinere und größere Spannungen und Abstände. Soll beispielsweise eine Zecke über einen viel kleineren Spalt von 0,1 Millimetern angezogen werden, so ist eine viel geringere Spannung von etwa 26 bis 29 Volt erforderlich“, erklären England und seine Kollegen.
Wir Menschen können nachweislich eine elektrostatische Oberflächenspannung von bis zu 30.000 Volt aufbauen. Mit dieser Spannung ließe sich eine Zecke sogar über mehrere Zentimeter hinweg anziehen, so das Forschungsteam. Dass Mensch und Tier regelmäßig den ermittelten Schwellenwert erreichen, ist also keine Seltenheit. „Daher ist es wahrscheinlich, dass Zecken auch in der Natur durch statische Elektrizität zu ihren Wirte hingezogen werden“, schlussfolgert England.
Für die Zecken stellt dieser elektrostatische „Traktorstrahl“ wahrscheinlich eine bequeme Möglichkeit dar, einen Wirt zu finden, zu ihm zu gelangen und sich an ihm festzuhalten, um den blutsaugenden Biss zu landen.
Neue Möglichkeiten für die Zeckenabwehr
Diese Ergebnisse sind das erste bekannte Beispiel dafür, dass statische Elektrizität bei der Anheftung eines Parasiten an seinen Wirt von Bedeutung ist. Und sie bergen gleich zwei praktische Implikationen. Erstens: „Auf der Grundlage der in dieser Studie ermittelten Mechanismen und Schwellenwerte ist es sehr wahrscheinlich, dass die passive elektrostatische Anziehung nicht auf Zecken beschränkt ist und sie auch bei anderen ektoparasitischen Arthropoden wie Milben, Flöhen oder Läusen weit verbreitet ist“, schreiben die Forschenden.
Zweitens könnte die Entdeckung nun dabei helfen, neue Technologien zu entwickeln, die das Risiko eines Zeckenbisses minimieren. England und sein Team könnten sich in diesem Zusammenhang zum Beispiel antistatische Sprays oder antistatisch beschichte Kleidung vorstellen. (Current Biology, 2023; doi: 10.1016/j.cub.2023.06.021)
Quelle: University of Bristol